29. April 2019 // Stephan Zwerenz
Are you listening, mother?

Filmstill aus „Are you listening, mother?“
Am Samstag des Filmfest Dresden hat der Filmverband Sachsen den mit 3.000 Euro dotierten Kurzspielfilm-Preis an Tuna Kaptan von Donaukapitän vergeben. „Are you listening, mother?“ (Deutschland / Türkei, 2018) ist der erste fiktionale Kurzfilm, den der deutsch-türkische Filmemacher gedreht hat. Zuvor bewegte er sich eher im Dokumentarfilmbereich, den er auch in dieser Produktion nicht gänzlich verlassen hat, denn die Story beruht auf einer wahren Begebenheit.
„2017 bin ich auf die Geschichte aufmerksam geworden“, verrät Tuna Kaptan, „über einen Freund, der die Betroffenen kannte. Dadurch konnte ich die Familie, in der Nähe von Istanbul, zweimal besuchen. Über meinen Hintergrund als Dokumentarfilmer ist es mir sehr wichtig, in der Beschreibung anthropologischer Umstände präzise und authentisch zu sein. Es hat mir Sicherheit gegeben, eine Vorlage zu haben, von der man sich beim Schreiben und Denken produktiv lösen konnte. Denn der psychologische Status Quo des Sohnes im Film unterscheidet sich stark vom ‚echten‘ Sohn der Familie.“
„Are you listening, mother?“ zieht uns in ein Haus irgendwo im Nirgendwo. Polizisten klingeln nachts an einer Tür. Ein Mann, vielleicht 40 Jahre alt, öffnet sie und lässt stillschweigend die Staatsbeamten herein. Sie bringen seine Mutter in Handschellen nach Hause und legen ihr anschließend eine elektronische Fußfessel an. Sie dürfe sich nur wenige Meter vom Haus entfernen und solle endlich mit dem Stricken aufhören.
Von nun an läuft eine imaginäre Grenze durch den Garten, die die Mutter aber konsequent ignoriert. Die enervierten Beamten werden deshalb immer wieder in die Einöde geschickt, wo sie der kleinen Familie Geldstrafen androhen. Der Sohn, hin- und hergerissen zwischen Verständnis für seine Mutter und dem Gehorsam gegenüber dem absurden Strafmaß, bezahlt den Polizisten schließlich heimlich das Geld und verfolgt zugleich einen geheimen Plan.
Erst am Ende des Films erfahren die Zuschauer, worum es eigentlich geht: An ihren anderen Sohn, einen kurdischen PKK-Kämpfer, hatte die Mutter selbstgestrickte Pullover geschickt. Dafür wurde sie zu sechs Jahren Hausarrest verurteilt.
Kaptan will mit dem Film auf die Willkür und die Situation in der Türkei aufmerksam machen. Er legt dabei aber auch großen Wert auf die Universalität der Geschichte und entschied sich deshalb für „die Reduzierung des filmischen Raumes auf ein Kammerspiel und gegen ein typisch ostanatolisches Setting.“ Er will räumliche und gedankliche Distanzen aufheben, um zu zeigen, dass es autoritäre Regime und Strukturen auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft gibt und dass sich die Menschen, ihre alltäglichen Lebensweisen, ihre Ängste und Probleme generell nicht sehr stark voneinander unterscheiden. Autoritäre Regime neigen überall zu politischer Willkür und fördern ähnlich absurde Strafmaßnahmen.
Dementsprechend vorsichtig verhielt man sich bei den Dreharbeiten in der Türkei: „Der politische Hintergrund der Geschichte hat es durchaus erschwert, bekanntere Namen für die Besetzung im Film zu bekommen. Auch die Teamfindung gestaltete sich nicht unkompliziert. Wie im Film haben auch in der Realität Menschen in der Türkei Angst, unsichtbare politische oder moralische Grenzen zu überschreiten und sich und ihre Familien dadurch in Gefahr zu bringen.“
Zurzeit arbeitet Tuna Kaptan an seinem Debüt-Film „Papa Don“, einer dysfunktionalen Familiengeschichte mit manisch-depressivem Hintergrund, einer grotesken Vater-Sohn-Geschichte. Er will noch nicht zu viel verraten, aber versichert: „Es darf gelacht werden.“
Website – Donaukapitän Trailer „Are you listening, mother?“
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