26. Oktober 2020 // Gisela Wehrl
Aufbrechen von Machtstrukturen

Brigid O’Shea verkündete beim ELBE DOCK in Dresden am 5./6.09.2020 die Programmatik des diesjährigen DOK Industry.
Das DOK Industry Programm 2020 steht im Zeichen der Teilhabe unterrepräsentierter Filmschaffender, des Türenöffnens sowie des Aufbrechens von Machtstrukturen, die sich durch die Dokumentarfilmbranche ziehen. „Wir dürfen die sich wandelnde Welt nicht ignorieren, erst recht nicht, wenn es um strukturelle Diskriminierung geht”, betont die Leitung von DOK Industry Brigid O’Shea: „In den letzten Jahren haben wir Gender Ungleichheit in den Blick genommen. Nun ist es ein guter Moment, Ungleichheit und Ausgrenzung aufgrund von Rassismus in unserer Branche zu thematisieren.“
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Für die Online-Ausgabe des Industry Programms produzieren Leiterin Brigid O’Shea und ihr Team erstmals eine Reihe an Podcasts in Zusammenarbeit mit What’s Up with Docs, dem Programmers of Color Collective und Themba Bhebhe, Kurator für Film und Branchenveranstaltungen. Die Reihe widmet sich Themen wie etwa der Dekolonalisierung der Filmindustrie, der Diskriminierung und dem Widerstand indigener Filmschaffender und Filmschaffender of Colour sowie dem Recht marginalisierter Filmemacher*innen, die eigene Geschichte selbst zu erzählen.
Mit einem diversen Festivalprogramm und der Sichtbarmachung von Ungleichheit aufgrund von Rassismus hofft O’Shea auf einen Wandel in der Filmindustrie und der ganzen Gesellschaft: „Filmfestivals sind weitgehend weiße Mittelklasse und man benötigt ziemlich viele Privilegien, um sich leisten zu können, für eines zu arbeiten. Ich wünsche mir von Herzen, dass wir einen stärkeren Dialog in Kunst und Kultur beginnen, und hoffe, dass diese Podcasts ein Schritt in diese Richtung sind.“
Im letzten Jahr wurde die südafrikanische Regisseurin Godisamang Khunou mit dem Preis der Kunstministerin für das beste Dokumentarfilmprojekt einer Regisseurin ausgezeichnet. In ihrem Filmprojekt „Black Women & Sex“ widmet sich Godisamang Khunou dem Spannungsfeld, in dem Schwarze Frauen im Kontext der politischen Dimension von Sex stehen. Die Regisseurin gibt drei Frauen aus verschiedenen Ländern Afrikas (Nigeria, Sambia und Südafrika) und unterschiedlicher sexueller Identität eine Stimme. Der Film behandelt Themen, über die wir selten sprechen, und zeigt, wie sich die politische Dimension von Sex in verschiedenen Kontexten auswirkt. Aktuell ist das Projekt in Pre-Production.

Godisamang Khunou sprach mit Gisela Wehrl über das Aufbrechen von Machtstrukturen, ihr Dokumentarfilmprojekt „Black Women & Sex“ und die Bedeutung von intersektionalem Feminismus:
Interview
Der Stil des Trailers ist toll!
Sex ist ein heikles Thema, darum möchte ich den Stil kontrollieren. Sex sieht sehr schnell billig und pornografisch aus und das möchte ich einfach nicht zeigen, wenn ich an Schwarze Frauen und Sex denke. Für manche Menschen gelten bereits 5-jährige Schwarze Mädchen nicht mehr als unschuldig. Die Gesellschaft übersexualisiert Schwarze Mädchen und Frauen. Und wenn dich jemand übersexualisiert, wirst du dadurch viel verletzlicher.
Sie haben bereits eine 6-teilige Serie zum gleichen Thema gemacht. Was wird beim Filmprojekt anders?
Nach der Serie habe ich eine weitere Entwicklungsförderung bekommen. Und dabei habe ich festgestellt, dass ich keine trans Frauen in der Serie hatte. Ich hatte gedacht, dass ich alle verschiedenen Frauen abgedeckt hätte, und dass ich dann tatsächlich trans Frauen vergessen hatte, hat mir gezeigt, dass es trans Frauen in weiblichen Narrativen unterrepräsentiert sind – und das ist einfach so falsch. Ich sehe mich als Feministin und Filmemacherin, warum habe ich dann nicht mal daran gedacht, als ich über Frauen gesprochen habe? Und darum war es sehr wichtig für mich, für den Film eine trans Protagonistin zu finden.
Wir müssen trans Frauen in weibliche Repräsentationen und Narrative inkludieren. Wenn Menschen Möglichkeiten bekommen, andere jenseits dessen kennenzulernen, wie sie sonst gesehen werden, dann bietet uns das neue Perspektiven und hilft uns, uns gegenseitig besser zu verstehen. Die Kraft des Filmes gibt uns die Chance Repräsentation zu verändern.
Dieser intersektionale Anspruch gefällt mir an Ihrem Projekt so gut. Ist jeder „wahre“ Feminismus intersektional?
Ich denke schon. Manchmal, wenn ich mit meiner Protagonistin Glow über einige Probleme spreche, sagt sie: „Das sind cis-gender Probleme.“ In der Gesellschaft herrscht eine Unsichtbarkeit von trans Menschen. Im alltäglichen Leben sehe ich diese nicht. Nun bewege ich mich in einem Umfeld, wo mir das auffällt. Und nun habe ich auch keine Angst mehr. Einmal habe ich Glow gefragt: „Warum haben manche Leute Angst vor trans Menschen?“ Und sie hat geantwortet: „Weil sie uns nicht kennen.“
Ich möchte nicht für trans Menschen sprechen, weil ich deren Situation gar nicht wirklich verstehen kann. Aber als Regisseurin möchte ich zuhören und Glow für trans Menschen sprechen lassen. Sie kann das viel besser als ich. Ich möchte das Narrativ nicht kontrollieren und ihm eine falsche Richtung geben. Das Beste, was ich machen kann, ist zuhören.
„Der Kampf für Frauenrechte nimmt verschiedene Formen in verschiedenen Kontexten an“, heißt es im Trailer. Wo kann “weißer” Feminismus dem Feminismus von BIWoC helfen?
Ich habe mit vielen verschiedenen Typen von weißen Feministinnen zusammengearbeitet. Intersektionale Feministinnen geben Schwarzen Frauen Raum zu sprechen. Aber manche Frauen haben einen „weißen Erlöserinnen”-Komplex und bevormunden Schwarze Frauen. Im Kern stecken gute Absichten dahinter, aber das leistet dem Narrativ Vorschub, dass Weißsein Überlegenheit bedeutet.
Wie können weiße Frauen dann helfen?
Ihr müsst verstehen: Ihr habt keinen einzigen Tag als Schwarze Frau gelebt. Es ist wichtig, die Themen von Schwarzen Frauen voranzubringen, aber ihr dürft nicht vorgeben, dass ihr sie versteht. Als Feministinnen müsst ihr das anerkennen. Ihr könnt nicht für Schwarze Frauen sprechen, aber ihr könnt eine Plattform bieten.
Was halten Sie von Programmen und Preisen (wie dem des SMWK), die sich speziell an Frauen oder marginalisierte Gruppen richten?
Das ist wichtig. Diese Programme bieten eine Sichtbarkeit, die sonst nicht gegeben wäre. So bekommst du die richtige Form von Aufmerksamkeit in einem Raum voller Programmentscheider*innen. Das scheint zunächst wenig zu sein, aber das wirkt sich auf lange Sicht aus.
Und was würde helfen, um die Filmindustrie zu dekolonialisieren?
Wir brauchen Schwarze und PoC als Entscheidungsträger in der Filmindustrie und in den Gremien, angefangen von Fördereinrichtungen über Festivals, Sender, Filmeschaffende etc. Dazu reichen ein oder zwei Leute in einem Raum nicht aus, wir brauchen eine wirkliche Präsenz mit verschiedenen Perspektiven und eine echte Inklusion.
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