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30. Oktober 2020 // Mirjam Mager // Filmverband Sachsen e. V.


Aufbruch ins Unbekannte

Mitgliederportrait Steffen Krones

Steffen Krones mit Boje am Elbufer

Ein verregneter Sonntagmorgen an der Dresdner Elbe: Während sich die letzten frühmorgendlichen Nebelschwaden verziehen und wenige Sonnenstrahlen die beliebte Kulisse der sächsischen Hauptstadt beleuchten, stapft eine einzelne Person mit gesenktem Blick über die Wiesen gegenüber der „Elbflorenz“. Ausgerüstet mit einer Kamera und einem großen Beutel, scheint der junge Mann intensiv den Boden zu begutachten. Er ist auf der Suche nach Verpackungen, Flaschen, Abfall … und nach der Antwort auf die Frage, welchen Einfluss die Dresdner auf die Verschmutzung der Flüsse und Meere dieser Welt haben.

Dies sind erste Ausschnitte, die Steffen Krones dem Filmverband Sachsen aus seinem noch nicht fertiggestellten Dokumentarfilm zeigt. Der Mann auf den Aufnahmen ist der Dresdner Filmemacher selbst, der für seinen Film nicht nur hinter, sondern auch vor der Kamera steht. Es wird sein erster abendfüllender Dokumentarfilm sein. Die Idee dazu kam ihm weit entfernt von seiner Heimatstadt, auf den Lofoten ­­– einer kleinen, entlegenen Inselgruppe sehr weit nördlich in Norwegen, wo er auf Müll aus Deutschland stieß.

 

Steffen Krones ist in Dresden geboren, aufgewachsen und auch heute stellt die Stadt seinen Arbeitsmittelpunkt dar. „In der Werbebranche ist es irrelevant, wo man lebt, und Dresden bietet zweifellos einen sehr hohen Lebensstandard. Außerhalb der Werbebranche ist es beruflich hier allerdings schwer und es existieren noch weitere Faktoren, die anstrengend sind. Ich meine damit die lokalen Mentalitäten und politischen Zwiespalte und was damit einhergeht. Sie fühlen sich oft veraltet und traurig an. Wiederum machen es genau diese Reibungen auch so spannend und ermöglichen es, in Dresden mitzugestalten. Ich sehe hier viel Aufbruch und damit ein riesiges Potenzial.“ Zum Beispiel produzierte Krones Kurzfilme für die Tourismuskampagne des Freistaates „So geht sächsisch“, wie den Film „Rauschen“, welcher dem Zuschauer einen atmosphärischen Einblick in die urbane Subkultur Dresdens gibt. In ihr ist er tief verwurzelt durch seine erste große Leidenschaft, die ihn zur Fotografie und schlussendlich zum Film brachte: das Skateboard. Die Liebe zum Board, zur Crew, zur „Straße“ wird stets fotografisch und filmisch festgehalten. „Ohnehin ist die Skaterszene eng mit der Künstlerszene verbunden. Und da spreche ich nicht nur von Graffitis und Street Art.“

 

Steffen Krones beim Sprung über eine Absperrung mit seinem Skateboard.
Foto: Simon Klemmer

Nicht lange dauerte es, bis sich ein künstlerischer Anspruch bei Steffen Krones entwickelte und damit auch der Wunsch, das Hobby zum Beruf zu machen. Nach dem Fachabitur für Kunst und Gestaltung absolvierte er eine Ausbildung zum Mediengestalter, während derer er bereits erfolgreiche Clips und Videos für ein internationales Skate-Magazin produzierte. Da das Reisen schon früh zu seiner Leidenschaft wurde, zog er nach der abgeschlossenen Ausbildung nach Kanada. Die Zeit an der Westküste Nordamerikas stärkte seine Verbundenheit zur Natur und veränderte seinen Blick auf die Umwelt. Neben dem urbanen Leben und der Architektur der Städte waren es nun die vielfältigen Landschaften der Rocky Mountains und die einzigartigen Tierwelten Kanadas, die er mit der Linse einfing.

 

Nach seiner Rückkehr nach Dresden nahm seine Karriere als Solo-Filmemacher und Produzent ihren Lauf mit Musikvideos, Imagefilmen und Werbung für das Fernsehen. In dieser Zeit lernte er – durch seine Arbeit und das Skateboarden – den Filmemacher Sebastian Linda kennen, mit dem er in den Folgejahren intensiv kollaborierte. Krones’ Verständnis für die „Tools“ des Storytellings mittels Kamera wurden maßgeblich durch den in Darmstadt geborenen Audio Visual Artist geprägt.

 

Lindas Filmreihe „The Beasts“ machte die Dresdner Skaterszene international bekannt und gipfelte 2014 in dem bisher letzten Teil „The Journey of the Beasts“, für die Steffen Krones Protagonist, zweiter Kameramann und Drohnenpilot war. Der Film erzählt in atemberaubenden Bildern von der Reise der Dresdner ‚Beast-Skateboarder‘ durch Indonesien. „Freunde brechen ins Unbekannte auf und finden ihre Abenteuer, die ihr Leben für immer verändern werden, in einer fremden Kultur“, verheißt die Synopsis zum Film. Er lief weltweit erfolgreich auf Festivals, gewann mehrere Preise, wurde im MDR gezeigt und in der ARD-Mediathek zum „Must-See“ gekürt. Für Steffen Krones war die Teilnahme an diesem Projekt nicht nur in Hinsicht auf seine Karriere ein Durchbruch, sie öffnete ihm auch die Augen, dass abseits der perfekten Landschaften eine andere Realität existiert. „Kanada war groß, weit und schön. Indonesien war eng, arm und dreckig. Es hat sich nicht falsch angefühlt, im Film nur die schönen Seiten Indonesiens zu zeigen, da die menschlichen Beziehungen im Vordergrund standen. Dennoch wurde durch die Arbeit in Indonesien mein Drang, dokumentarisch zu arbeiten, um auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen, verstärkt.“

 

Aufgrund der großen medialen Aufmerksamkeit und der guten Reputation nach „The Journey of the Beasts“ ergaben sich viele Aufträge für Image- und Werbefilme, die Krones nahezu um den gesamten Globus schickten. In dieser Zeit sammelte sich eine große Menge an „B-Footage“ auf Krones’ Festplatten, welches er 2018 zu seinem ersten Naturfilm „Habitat“ zusammenfügte, der den MILANO MONTAGNA Filmfestival Preis gewann. Im selben Jahr reiste er mehrfach aus privaten und beruflichen Gründen nach Norwegen. Während eines Drehs für Jack Wolfskin lernte er den einheimischen Naturführer Kris Jensen kennen, mit dem er gemeinsam auf die Lofoten reiste. Hier stehen die ältesten Berge unseres Planeten. Das Urgestein ragt bis zu 1 200 Meter aus dem Wasser heraus. Das Wetter ist einzigartig aufgrund des hier endenden Golfstroms.

 

„Kris nahm mich eines späten Nachmittags mit auf eine kleine Kajakexpedition. Normalerweise führt er Touristen – also Leute wie mich – durch die Fjorde. Er erzählt Geschichten und erklärt die natürlichen Gegebenheiten. Dabei sensibilisiert er die Menschen für die Natur. Bis er dann letztlich mit ihnen auf kleine Inseln paddelt und dort die von Müll verschmutzten Strände mit ihnen aufräumt. Auf unserer Tour hatte Kris eine kleine Insel im Kopf, auf der er lange nicht mehr war, denn er wollte schauen, wie viel Müll seit seinem letzten Besuch angeschwemmt wurde. Wir liefen die Insel einmal komplett ab und fanden Schläuche, Styroporreste, riesige Plastikbarken, kleine Plastikflaschen und noch vieles mehr. Schlussendlich war er aber ziemlich glücklich. Er empfand die Insel als generell sehr sauber und hätte viel Schlimmeres erwartet. Ich hingegen war überfordert. Wenn das, was ich da sah und was wir fanden, als sauber empfunden wird, wie sehen dann die wirklich verschmutzten Strände aus? Eines war für mich besonders symbolisch: Das Allererste, was wir fanden, war eine Bierflasche – Erdinger alkoholfrei. Ein deutsches Bier, angeschwemmt auf einer zu Fuß unerreichbaren Insel im Nordpolarmeer. Wo kam die her? Etwa wirklich aus Deutschland? Oder war es doch ein fanatischer Tourist, der nach genüsslichem Verzehr die Flasche anschließend im Ozean entsorgte? Es war kurz nach Mitternacht und die Sonne war gerade erst untergegangen. Wir nahmen alles mit in unsere Kajaks und paddelten wieder ans Festland.“

 

Zurück in Dresden fing Krones an, sich mit dem Thema Plastik und Müllverbreitung in den Meeren näher zu beschäftigen. Er las viel über die Vorteile von Plastik – vor allem aber über die Nachteile. Seit rund 70 Jahren wurden 8 300 Millionen Tonnen Kunststoffe produziert. 79 % davon liegen auf Deponien oder sind in die Umwelt gelangt. Es gibt Untersuchungen, die versuchen, in Zahlen wiederzugeben, wie der Müll im Ozean landet. Fünf asiatische Länder sind demnach für 60 % des im Meer schwimmenden Mülls verantwortlich. China, Indonesien, Vietnam, Philippinen etc. sind die Länder, die es doch erst mal „in den Griff bekommen sollten“ – doch dieser Gedanke wäre ein falscher Ansatz mit fatalen Folgen. Während wir uns über die täglich neuen Bilder von verschmutzten asiatischen Küsten ärgern und uns über so ein Verhalten der Menschen wundern, sind es unter anderem wir Deutschen, die jene Länder mit Tonnen von Müll beliefern. Europa ist für ein Fünftel der weltweiten Plastikproduktion verantwortlich. Da Recycling zu teuer ist, wird das Ganze lieber nach Malaysia und Vietnam verfrachtet. So zählt es wenigstens auf dem Papier als recycelt. „Sicher ist unsere Müllverarbeitung besser als in anderen Ländern und unsere Städte sind auch sauberer, aber das spiegelt eben nur die halbe Wahrheit wider.“ Steffen Krones nahm daraufhin Kontakt zu deutschen Meeresbiologen, Plastik- und Polarforschern auf, womit seine Arbeit an dem Film „Flaschenpost aus Dresden“ (Arbeitstitel) offiziell begann.

 

Wenige Monate später im Mai 2019 sitzt er am Ufer der Elbe. In der einen Hand eine Flasche und in der anderen sein Telefon. Er ist skeptisch, ob sein Vorhaben funktionieren wird. Er wirft eine Flasche, die an einem Strick befestigt ist, etwas ungeschickt ins Wasser. Diese Flasche ist eine GPS-Boje, die im Stande sein soll, bis in die Nordsee zu reisen. Mit der Unterstützung von Wissenschaftlern dokumentiert er durch sie den Verlauf von Plastikmüll in der Nordsee und untersucht deren Zusammenhänge mit der Verschmutzung des Polarmeeres. Die daraus resultierenden Ergebnisse würden erstmals die Verbreitung von deutschem Flussmüll in den Weltmeeren offenbaren. Das Ziel von Steffen Krones ist es, eine authentische, verständliche und nachvollziehbare Brücke zu schlagen. Wie Plastik, so haben auch Chemikalien oder Sonstiges ganz woanders auf der Welt einen Einfluss auf das natürliche Umweltsystem. Der menschliche Eingriff in die Natur wird visuell verfolgt und dargestellt. Dieser soll bebildert werden von atemberaubenden Orten, die unterschiedlicher kaum sein könnten.

 

Das Projekt nimmt inzwischen größere Ausmaße an, als Krones es ursprünglich geplant hatte. Es wird von der Dresdner Produktionsfirma ravir film produziert, von der MDM gefördert und hat bereits einen Sendeplatz vom MDR angeboten bekommen. Das Thema Nachhaltigkeit spielt nicht nur inhaltlich eine große Rolle. Die Produktion möglichst „grün“ zu halten, ist ein wichtiger, aber immer wieder herausfordernder Grundsatz. Den eigenen CO2-Fußabdruck möglichst gering zu halten, scheint hier das größte Problem darzustellen, da der Film dramaturgisch als eine Art „Road Movie“ angelehnt ist. Wo möglich, wird auf Flugreisen verzichtet und für kleine Strecken werden Elektroautos gemietet oder es wird auf die öffentlichen Verkehrsmittel zurückgegriffen. Bei jedem Dreh wird Müll entlang der Elbe eingesammelt, und das dort gefundene Plastik wieder eingeschmolzen und für Krones’ Bojenbau verwendet. „So werden zumindest keine neuen Schadstoffe in den Kreislauf der Natur eingeführt.“

 

Eine weitere, große Hürde während der Dreharbeiten stellt nach wie vor die globale Covid-19-Pandemie dar. Als die erste Reise nach Norwegen unmittelbar bevorstand, kam die Absage für den Dreh, da Norwegen seine Grenzen schloss. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb von Deutschland brachte dann das Projekt zum absoluten Stillstand, womit es nun nicht mehr möglich war, den angebotenen Sendeplatz für den MDR zu halten. „Ich habe jedoch die Hoffnung, dass diese ganze Situation nun zumindest dramaturgisch ein unerwarteter, aber spannender Teil des Films werden kann. Auch der MDR hat sich offen für einen Sendeplatz ein Jahr später gezeigt.“ Inzwischen konnten 70 Prozent der Aufnahmen abgedreht werden und Krones ist begeistert, wie sich die Dinge während der Dreharbeiten fügen und wie gut sein Team und er mit der Herausforderung umgehen konnten. „Ideen für meinen nächsten Dokumentarfilm habe ich aufgrund der Erfahrungen der letzten Monate auf jeden Fall schon genug“, sagt er lachend.

 

Dreh des Kurzdokumentarfilms „How To Hear A Painting“ (2020) für „So geht sächsisch“ | Foto: Patrick Schwarz

 

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