25. Oktober 2018 // Dörthe Gromes
Der vernetzte Herakles

(c) Lutz Dammbeck
Im Werk des aus Leipzig stammenden Grenzgängers Lutz Dammbeck trifft Experimentalfilm auf Performance, Animation auf Dokumentarfilm, Essay auf Interview. Ihn als Filmemacher zu bezeichnen, wäre zu kurz gegriffen. Neben filmischen Ausdrucksformen greift Dammbeck auf Fundstücke, Installationen, Texte, Grafik und Tanz zurück und benutzt all diese Mittel für sein weit mäanderndes Werk, das auf Grenzüberschreitung als künstlerischem Prinzip fußt.
„Ich habe keine Kunsttheorie, sondern suche mir die Werkzeuge für meine Untersuchungen wie ein Arzt sein Instrumentarium“, erklärt er seinen Ansatz während eines Telefongesprächs. „Dafür benutze ich eine ziemlich große Werkzeugkammer“, fährt der Künstler fort. In der Tat sind insbesondere seine seit den 1990er Jahren entstandenen Filme weniger klassische Dokumentarfilme als assoziative Explorationen komplexer Fragestellungen, die sich im Spannungsfeld von Tradition und Avantgarde, Kunst und Macht, Mensch und Technik bewegen. Ausgangspunkt ist in der Regel eine konkrete Frage. So im vielleicht populärsten seiner Filme „Das Netz“ (2004) die Feststellung, dass Avantgardekunst und Kybernetik frappierend oft die gleichen Begriffe verwenden. Beide sehen Realität nicht als gegeben sondern als beliebig formbare Masse. Dammbeck fragt: Warum ist das so? Worin liegen die Ursachen? Und was bedeutet es für unsere Gesellschaft, wenn sich virtueller und realer Raum immer mehr vermischen?
In dem Film trifft Dammbeck verschiedene Schlüsselpersonen aus der us-amerikanischen, fortschrittseuphorischen Intellektuellenszene der 1960er und 1970er Jahre. Zwischen den Interviewszenen zitiert er immer wieder aus seinem Briefwechsel mit dem „Unabomber“ Theodore Kaczynski, einen ehemaligen Mathematiker, der mehrere, zum Teil tödliche Anschläge verübte, um seinen zivilisationskritischen Thesen medial Gehör zu verschaffen.
Es ist eine verbreitete Kritik an Dammbecks Arbeiten, dass er umstrittenen Personen wie Theodore Kaczynski ein Podium bietet. Berührungsängste mit dem rechten und linken Rand des politischen Spektrums hat der Künstler nicht. Derartige Uneindeutigkeiten sorgen bei Rezipienten seiner Arbeiten oftmals für Irritationen, weil sie die gängigen politischen Schemata unterlaufen.
Tatsächlich oszillieren Dammbecks essayistische Arbeiten zwischen Bedeutungen und Begriffen, Geschichten und Personen. Frage türmt sich auf Frage, deren Beantwortung weniger wichtig ist als der Akt des Suchens. So wächst ein Gedankengebäude aus Zusammenhängen und Assoziationen, in dem die Zuschauer durchaus die Orientierung verlieren können. Doch gleichzeitig entwickeln diese sorgsam arrangierten Arbeiten – vorausgesetzt man lässt sich auf sie ein – einen langsam wirkenden Sog und weiten darüber den Blick für mögliche Verbindungen, die nicht auf den ersten Blick offensichtlich sind.
„Es wäre schrecklich, wenn man den Kern meiner Arbeiten klar benennen könnte, das wäre Agitationskunst“, entgegnet Lutz Dammbeck seinen Kritikern, die ihm vorwerfen eher für Unklarheit denn für Erkenntnis zu sorgen. „Ich untersuche das, was mich schmerzt und verspüre sicher auch einen gewissen Genuss am Widerstand“, sagt er über die Wahl seiner Themen.
Dass er mit seinen herausfordernden Arbeiten nur ein kleines Publikumssegment erreicht, nimmt Lutz Dammbeck bewusst in Kauf: „Meine Filme finden im Kino etwa 3000 bis 6000 Zuschauer.“ Marktkompabilität hat ihn in seinem Schaffen noch nie interessiert. Vielmehr sieht er seine Filme, Aufsätze, Bücher, Installationen und die Diskussionen, die sie hervorbringen als Prozess, der mindestens ebenso wichtig ist wie das jeweilige künstlerische Ergebnis.
Auch ästhetisch vermischt Dammbeck die verschiedenen Kunstformen. In seinen Filmen verwendet er häufig ausgeschnittene Figuren, die er zu kunstvollen Installationen arrangiert, um die von ihm untersuchten Verbindungen zu verdeutlichen. Ebenso benutzt er mitunter Animationstechniken, um das dokumentarische Material zu erweitern.
Animationsfilme waren für Dammbeck der Einstieg in die filmische Arbeit. Zunächst absolvierte der 1948 als Sohn einer Sekretärin und eines Rennpferdetrainers geborene Künstler eine Ausbildung zum Schriftsetzer und studierte danach ab 1967 Buch- und Plakatgestaltung an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Danach realisierte er in größeren zeitlichen Abständen für das DEFA-Studio für Trickfilme in Dresden eine Reihe von Animationsfilmen. „Der Schneider von Ulm“ (1979), „Die Flut“ (1985) und insbesondere „Einmart“ (1981) enthalten Szenen von bedrückender und gleichnishafter Düsternis, die wie Fremdkörper aus dem Großteil der Produktionen des Studios herausstechen.
Neben den DEFA-Filmen entstanden auch privat unabhängig produzierte, filmische Experimente wie der Kurzfilm „Hommage á la Sarraz“ (1981). Eine rasante Assoziationskette von dokumentarischen Aufnahmen und selbstgedrehtem Material, das überdies durch Einkratzungen und Übermalungen verfremdet wurde.
Parallel dazu beschäftigte sich der Künstler mit der antiken Figur des Herakles, dem Grimmschen Märchen vom eigensinnigen Kind, Texten von Heiner Müller und „Der Ästhetik des Widerstandes“ von Peter Weiss. Daraus gewonnene Motive setzte er in Filmen, Mediencollagen, Installationen und Performances zueinander in Beziehung. Im Laufe der Jahre entwickelte Dammbeck aus ihnen das sich beständig fortschreibende „Herakles Konzept“. Es bildet einen komplexen Bezugsrahmen für sein gesamtes künstlerisches Schaffen. Herakles Kampf gegen die Hydra ist eine vieldeutige Chiffre für das Verhältnis von Individuum und Technik, Kunst und Macht.
Mit all diesen Arbeiten reizte Dammbeck seine künstlerische Freiheit bis weit über die von der offiziellen Kunstdoktrin der DDR vorgegebenen Grenzen aus. Als der Leipziger dann auch noch ungenehmigte Ausstellungen von eigenen Arbeiten und denen befreundeter Künstler organisierte, rückte er in den frühen 1980er Jahren endgültig in den Fokus der Staatssicherheit. 1986 stellte der Künstler einen Ausreiseantrag und musste die DDR wie in solchen Fällen oftmals üblich innerhalb von 24 Stunden verlassen – „mit Frau, Tochter, zwei Koffern und zwei Fahrrädern“, erinnert er sich.
Seitdem lebt Lutz Dammbeck in Hamburg, kam jedoch nach der Wende häufig in seine alte Heimat zurück. Von 1999 bis 2015 lehrte er als Professor für Neue Medien an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. „Ich hatte kein strenges Lehrkonzept, aber es gab zu wenig Studenten, die es interessierte, wie ich arbeite. Schlussendlich war ich eher ein Störfaktor im Lehrbetrieb, ein unruhiger Geist, das gefiel mir eine Zeitlang gut“, kommentiert er seine Lehrtätigkeit.
Aktuell sitzt Dammbeck an der Endfertigung seines neuen Filmes „Bruno und Bettina“. Der Impuls dazu entstand aus seiner Beschäftigung mit Heideggers Auffassung vom Wesen der Technik und dessen Interesse für die japanische Philosophie. Aber nach den Dreharbeiten und der Montage wurde es eine Abhandlung über linke Ideale, Kunst und Terrorismus. Dahinter steckt wie auch in früheren Arbeiten nicht zuletzt seine tiefe Skepsis gegenüber den rasanten technischen Entwicklungen und ihrer zwanghaften Natur, denen sich die meisten Menschen kaum entziehen können: „Das Entscheidende ist, diese Prozesse zu verlangsamen, damit die Gesellschaften ihre Auswirkungen hinreichend erfassen und diskutieren können“, sagt der Künstler. Dementsprechend wirken Dammbecks Filme in ihrer Komplexität und Ambivalenz durchaus entschleunigend. Sie verweigern sich dem schnellen Konsum und verlangen eine intensive Beschäftigung mit ihren Inhalten. Damit sind sie sozusagen das Gegenteil von Infotainment.
Tipp:
DOK Leipzig (29.10. – 4.11.) widmet Lutz Dammbeck eine Werkschau in vier Programmen
Das DIAF in Dresden zeigt am 26.10. um 20 Uhr in seiner Reihe „Animania“ Filme von Lutz Dammbeck.
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