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20. September 2017 // Interview: Jana Endruschat, Sabine Kues


„Der Weg ist mein Ziel“

Trickfilmanimator Günter Rätz im Interview

Günter Rätz

Günter Rätz in seinem Garten in Dresden. // © FILMVERBAND SACHSEN E.V.

„Das ist 30 Jahre Trickfilm – und das ist das Ende,“ erzählt Günter Rätz während er durch seine feinsäuberlich dokumentierten Erinnerungen aus seiner Zeit beim DEFA Trickfilmstudio blättert. In über 35 Jahren Berufserfahrung als Animationsfilmemacher ist einiges zusammengekommen und es braucht nicht viel Überzeugungsarbeit, damit Rätz uns ein wenig an seinen Erinnerungen teilhaben lässt.

 

Zunächst möchte er uns eine bestimmte Klarsichtfolie aus seinen Ordnern zeigen: Ein Schreiben der DEFA zu seinem 30. Dienstjubiläum 1985 und seine Kündigung 1991, als das DEFA Trickfilmstudio nach der Wende schließen musste. „Sie sind ein unbequemer Mitarbeiter“ liest es sich gleich am Anfang seines Jubiläumsschreibens und Rätz erläutert: „Ich habe es denen wirklich nicht leicht gemacht weil ich mit vielen Sachen nicht einverstanden war. Z.B. auch nicht mit der Dramaturgie. Ich war bis zur Auflösung des Studios da. Die letzten Filme habe ich ganz und gar ohne Dramaturgen gemacht. Sehen Sie, ich war weder in den Pionieren noch in der FDJ noch in der Partei noch in der Kampfgruppe, nichts. Da muss doch irgendwas hängen bleiben. Das einzige, was mich über Wasser gehalten hat, war die Qualität meiner Filme.“

 
Und wie sind sie zum Trickfilm gekommen?

 
Ich wollte Bildhauer oder Architekt werden. Mein Vater sagte: „Du wirst erst mal Maurer, wie alle von uns. Dann können wir weitersehen. Wenn du Maurer bist, kannst du immer eine Familie ernähren. Aber als Bildhauer nicht und als Architekt auch noch nicht – da musst du erst mal einen Namen haben.“ – Ich habe meine Ausbildung schnell hinter mich gebracht und u.a. als Gesellenstück die Wohnung meines späterer Direktors mit gebaut. Meine Zirkelleiterin beim Handpuppenspiel im Haus der Kinder in Berlin sagte mir dann: „Der Erich Hammer hat euch gezeigt, wie ihr aus Pappmasché Köpfe macht. Der ist jetzt bei der DEFA. Geh doch mal da hin. Viellicht kann der dich gebrauchen.“ Aber er hat mich nicht empfangen, sondern ein Herr Hempel. Und dieser smarte Mann hat mich ausgefragt, was ich getan hätte und hatte dabei mitbekommen, dass ich auch mit Puppenspiel was zu tun hatte. Er würde mich auf Probezeit nehmen, meinte er. Dann habe ich damals für 350 Mark als Puppenführeranlernling angefangen.

 
Konnte man damals davon leben?

 
Ich konnte mein möbliertes Zimmer bezahlen und Mutter hat dann auch mal einen Schmalztopf geschickt. Als ich zur DEFA in Babelsberg kam, waren da der Gerhard Berendt, der später das Sandmännchen gemacht hat und der Paule Trempler, ein Urgestein. Ein Beleuchter noch von der UFA. Er hat mir alles gezeigt. Die ganzen Ateliers auf dem DEFA-Gelände in Babelsberg.
Meine Lehre bestand darin, dass die Frau Küssner – eine ehemalige Sängerin vom Hans-Otto Theater – mir zeigen sollte, wie man Puppen bewegt. Sie zeigte mir, wie eine Puppe sich hinsetzt und dann hat sie mein Gesicht gesehen. Mir sieht man das ja sofort an, was ich denke. (lacht) „Das gefällt ihnen wohl nicht!“ – „Nein, nach der Anatomie hätte der sich jetzt sämtliche Gräten gebrochen. – Na, wenn Sie es besser wissen, dann machen Sie es doch selber.“ Das war meine Ausbildung. Und alles andere habe ich mir im Laufe meiner Praxis erarbeitet. Und das Ergebnis ist in dem Buch. (Rätz zeigt auf sein Buch „Film Animation“)

 
Wie war die Arbeitsweise bei der DEFA?

 
Also, wenn man das mal salopp ausdrücken möchte: wir hatten gerade hier im „Tal der Ahnungslosen“ überhaupt keinen großen Überblick vom Fernsehen und was in der großen weiten Welt geschah. Wir mussten uns das alles selber erarbeiten. Wir mussten alles selbst ausprobieren. In den ersten Jahren waren wir darauf angewiesen, was der Hempel [Regisseur und kurzeitiger künstlerischer Leiter des DEFA Trickfilmstudios, Anm. d. Red.] wusste.

 
Gibt es einen Animationsfilm, der für Ihre berufliche Entwicklung ausschlaggebend war?

 
Auf jeden Fall. Als Kind, Ende der 40er Jahre liefen tschechische Filme. Auch „König Lavra“ von Karel Zeman und später waren wir einmal für eine erste Auslandsreise in Prag. Von Prag ging es nach Gottwaldov, wo Zeman sein Studio hatte und es gab „Von der Erfindung des Verderbens“ noch bestimmte Exponate dort. Mit Zeman bin ich gut ausgekommen und war sogar mit ihm befreundet. Er sagte damals: „Weißt Du, am Besen für Dich ist, du machst deine Filme alleine.“ Und er hatte Recht. Das, was er an Drahtfiguren hatte, das blieb bei mir für immer haften. So wollte ich auch mal etwas machen.

 
Wie kam es zu dem internationalen Erfolg von „Filopat & Patofil“?

 
Nach dem ich bei „Teddy Brum“ Regie machen durfte, habe ich begonnen mit Drahtpuppen und Aludraht zu experimentieren. Wie die Figuren im Knoten-Gestell sein müssen ist mein Patent. Jedenfalls habe ich damit den „Wettlauf“ gedreht. Der wurde bei uns gezeigt und die Vorführung war knackig voll. Anschließend hat Rätz gleich wieder mal was auf den Hut gekriegt: „Das ist Formalismus! Sowas kann man nicht machen. Außerdem, die Leute könnten denken, dass die beiden Figuren Chruschtschow und Kennedy sind.“ Der „Wettlauf“ ging nach Moskau auf ein Festival. Dort haben Franzosen das gesehen und wollten in einem Jahr 52 Filme davon haben. Das ist unmöglich für einen alleine. Ich habe alleine 14 Tage für ein Buch und den Film gebraucht und ca. 15 Filme davon gemacht. Die anderen aus der DEFA mussten deshalb auch ran. Das war der erste Auslandsauftrag überhaupt für unser Studio.

 
Gibt es ein Film aus Ihrem Schaffen, der Ihnen besonders am Herzen liegt?

 
Mir hat jeder Film Spaß gemacht. Ich habe mich gefreut, wenn ich wieder etwas Neues ausprobieren konnte. Es gab solche Puppen wie die Küken aus „Gleich links hinterm Mond“, die mit der Pinzette bewegt werden mussten und es gab einen Riesen, der war so groß, wie die Stube hoch ist.

 
Was macht den Animationsfilm aus?

 
Also, Animation. Es haben viele Leute beschrieben was das ist. Ich habe das hier mal beschrieben (zeigt auf sein Buch) was Animation ist und da kommt man am Besten mit hin: „Animation ist kreative Materialmanipulation zur Darstellung von Handlung.“ Ist es in jedem Fall. Ob man mit der Handpuppe spielt oder mit der Marionette, oder ob man Figuren bewegt oder zeichnet. Das ist immer eine Materialmanipulation. Eine Manipulation kann selbst sein, wenn sich Farben oder Formen verändern. Das haben die alten Ägypter schon im Palast des Pharaos mit einem Gott gemacht, der sich phasenweise verbeugt. Und ich möchte wetten, das die alten Höhlenmenschen, wenn sie Wildschweine mit vielen Beinen gemalt haben; dass, wenn die mit der Fackel reingegangen sind,das Flackern des Fackellichts die Illusion von Bewegung hervorgehoben hat. Das war schon eine Animation. Animation ist auf keinen Fall an Technik gebunden. Die kann man auf der Bühne und auch auf dem Computer produzieren.

 
Welche Möglichkeiten hat der Animationsfilm für Sie?

 
Auf alle Fälle: dass man Fantasie verwirklichen kann, das man sich herrlich etwas ausdenken kann. Und ich weiß, durch das Puppenspiel, dass Kinder und Erwachsene immer auf die Puppen gucken und nicht auf die Spieler. Man muss sich in Puppen einfühlen können und das ist mir nicht schwer gefallen. Ich freue mich darüber, wie die Jugend heute rangeht und ohne jeden Kontrolleur Filme macht. So, wie sie das gerne möchten. Das ist schön.

 
Sehen Sie das auch kritisch, was heutzutage produziert wird?

 
Ich finde, dass die jungen Leute heute etliches Schönes und gute Ideen haben. Wer sich mit dem Computer beschäftigt, geht jedoch eher Richtung Farbspiele oder Spielereien mit geometrischen Figuren. Oder es wird vom Comic her gearbeitet. Es gibt wenig Charakteranimation.

 
Wie war die Auftragslage zu DEFA Zeiten? Sie hatten immer Ihr Einkommen?

 
Wir hatten vom Staat das Einkommen fürs Studio bekommen. Und da musste vorgestellt werden, was wir drehen wollten. Jeder hat sein Szenarium abzugegeben und dann wurde das genehmigt – oder auch nicht. Oder es wurde genehmigt und dann war es trotzdem wie beim „Posthilfsboten Säbelbein“: Eine ganz tolle Geschichte. Alles fertig: Puppen, Bauten. Toll gemacht. Die Bauten waren aus einem Postbuch in das ein Papierzug reinfuhr. Die Figuren selbst, waren gedrechselt wie Schachfiguren. Aus Naturholz. Die hatten wir auch so bewegen wollen … . Die erste Einstellung stand aufgebaut, da kam der ein neuer Direktor der HV Film [Staatliche Filmbehörde in der DDR, Anm. d. Red.] und fragte: Was machen Sie da? Das ist Kritik an der Obrigkeit! In den Kühlschrank! – Ich habe aber weitergemacht. Wenn Bitterfeld [von der HV Film] kam – dann gab es eine künstlerische Konferenz und dann haben hat man festgestellt, man wisse im Moment nicht, wie man weiterarbeiten soll. Bloß der Rätz, der dreht immer.

 
Hat die Zensur Sie davon abgehalten, bestimmte Projekte überhaupt erst anzupacken?

 
Was mir gefallen hat, habe ich angebracht. Unter den ersten Filmen, die ich nach „Teddy Brumm“ machen musste, war u.a. „Der tapfere Straßenbahnwagen“. Hierbei hatte ich einen Dramaturgen, das war der FDJ-Sekretär des Studios, Günter Jahnke. Ich war der jüngste Regisseur der DEFA, da musste ich also ran und die Arbeiterklasse marschieren lassen. Das habe ich dann aber auch gemacht! Da ist die Arbeiterklasse – mit Transparent und allem – aufmarschiert. Wir haben uns halb totgelacht. Der Film ist nach Kuba gegangen. Ich sagte, nun hört es aber auf damit und ich brauchte sowas dann auch nicht mehr machen. Ich habe dann meine eigenen Stoffe gebracht.

 
Und „Die fliegende Windmühle“ gehörte auch dazu?

 
Das ist ein Kinderbuch von Günter Feustel gewesen. Ich war ja abonniert auf Kinderbücher. „Die Leuchtturminsel“ ist auch nach einem Buch von Feustel. Die hat uns viel Spaß gemacht. Trickfilm ist etwas, bei dem man immer wieder etwas erfinden kann – was neu machen kann. Für den „Silbersee“ habe ich z.B. extra einen Kamerakran bauen lassen, damit wir in die Dekoration reinkamen. „Teddy Brumm“ war mein erster Film. Dafür habe ich das erste Bilddrehbuch im Puppentrick geschrieben. Bei „Nobi“, z. B. habe ich mit dem Autor Ludwig Renn zusammengearbeitet. Wunderbar! Wir waren ziemlich froh über das Ergebnis und dann kam auf einmal die Liga der Völkerfreundschaft: „Das geht so nicht. Der Film wird nicht in der Öffentlichkeit gezeigt. Der geht in den Kühlschrank!“ – Warum? In Ghana ist der Gorilla das Symbol für einen aussätzigen Menschen und der kleine dunkelhäutige Junge schläft mit seinem Gorillafreund in einer Hütte. Also, das geht nicht! Und außerdem, in Afrika, ist die Mondsichel nicht so wie bei uns, sondern liegend. Und daraufhin ist der Film nicht mehr gezeigt worden. Also, ich habe Backpfeifen genug bekommen.

 
Woran arbeiten Sie aktuell?

 
Ich wollte als letzten Film meiner Laufbahn den „Pole Poppenspäler“ machen. Ich arbeite noch lange dran. Zwar nicht mit Film, sondern der digitalen Kamera und mit dem Computer. Das ist sehr zeitaufwendig. Nach der Wende gab es ja eine Kommission und eine Chefin, die diese Kommission leitete. Sie war früher bei uns im künstlerischen Rat tätig. Der habe ich das vorgelegt und sie meinte nur: „Nein. Das ist zu sentimental. Das können wir nicht machen.“ Naja, ich mache mir den jetzt auf dem Computer und so, wie ich den haben möchte.

 
Sie sind also immer noch aktiv?

 
Na klar. Der Weg ist mein Ziel. Ich bin 82 und ich brauche sehr viel Zeit dafür. Ich mache das alleine. Und weil ich mir damals einbildete ich könnte den nächsten Karl May Film machen, hatte ich für diesen Film 100 Köpfe geschnitzt. Die sind jetzt in meiner Werkstatt, und die kann ich gut für „Pole Poppenspäler“ gebrauchen. Die entsprechenden Hauptfiguren wurden noch zusätzlich geschnitzt. An dem Film arbeite ich nun seit ca. 1,5 Jahren. Zwischendurch war ich aber auch drei Mal im Krankenhaus.

 
Sie könnten auch nicht mit dem Animationsfilm aufhören, oder?

 
Nein. Ich habe lediglich unterbrochen – für einen anderen Film. Eine Politsatire von Tucholsky. Sechzig Einstellungen müssen das werden. Sieben habe ich schon. Auftraggeber habe ich keinen. Ich mache das, weil es mir Spaß macht und wenn es nachher jemand haben will, dann freue ich mich natürlich auch. Auf jeden Fall ist mir das eine Beruhigung, dass mir da keiner reinredet.

 
Gibt es eine Anekdote, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

 
Wissen Sie, es gibt so viele Anekdoten. Die meisten haben mit dieser berühmten Ohrfeige was zu tun. Aber eins ist mir doch in Erinnerung geblieben, was sehr schön war. Wir hatten Sommerfilmtage und da war immer eine Delegation von uns mit Filmen unterwegs, die gerade fertig geworden sind und es war u.a. auch „Die Weihnachtsgans Auguste“ fertig. Da wurden wir nach Chemnitz, damals Karl-Marx-Stadt, vom Klub der Intelligenz eingeladen. Wir sollten die Kinder mit unserem Film amüsieren und die Erwachsenen hatten sich von der DEFA, vom Dokumentarfilm, mit einer Biografie von Friedrich Wolf, die Kollegen eingeladen. Die hatten ihr Filmmaterial mitgebracht, das teilweise aus Film und teilweise aus Magnetband bestand und in Chemnitz stand eine TK35 – wissen Sie was das ist? Das ist eine Landfilmmaschine zum Vorführen von Filmen in der DDR-Zeit. Da konnte man die Bänder füs Fernsehen nicht einlegen… und nun hatten die keinen Film und hörten bei uns im anderen Raum, was da los war und dann kamen sie ganz bescheiden, ob sie den nicht noch mal den Erwachsenen zeigen könnten. Und wir haben uns gefreut! (lacht)

 
Die Reaktionen des Publikums sind sicherlich die größte Belohnung.

 
Also, manche Filme, wenn ich da noch mal gucken kann und die noch mal über das DIAF sehe, da sehe ich wieviele Telefondrähte da drüber gezogen sind – die Kratzer. Also müssen sie ja ganz schön gelaufen sein. Auch der „Schnapphahnski“ muss ganz schön oft gelaufen sein – aber öffentlich? Ich habe den Arthur-Greif-Preis dafür gekriegt. Im Karton liegt das ganze Zeug drin. Das hat mich nicht so interessiert. Viel lieber war mir das zu erleben, wenn Filme vorgeführt wurden. Das hat dann ein bißchen bestätigt: da hast du doch richtig gedacht oder so. Das ist schon schön, wenn es Kindern und auch Erwachsenen Freude macht. Dabei hat mir immer geholfen, dass ich mit Puppenspiel angefangen habe. Da war ich 12. Das ist nun 70 Jahre her. Die Zeit vergeht. Aber wenn man Ideen hat, läuft das und geht immer weiter.

 
Günter Rätz (*1935) ist ein deutscher Trickfilmanimator, Regisseur und Drehbuchautor.
Zwischen 1955 und 1991 realisierte er über 60 Trickfilme beim DEFA Trickfilmstudio in Dresden. Sein Film „Die Fliegende Windmühle“ erreichte in Wien 99% der Publikumsstimmen und wurde mit dem „Holliknolli“ ausgezeichnet. Für „Die Spur führt zum Silbersee“ erhielt er den ersten „Nachwendespatz“ in Gera. Die internationale Erfolgsserie „Filopat & Patofil“ stammt ebenfalls aus seiner Feder.

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