9. Februar 2021 // Lion H. Lau
Diversität: Not found

Foto: privat
„Wenn sich jetzt der Protagonist und sein bester Freund so im Gesicht berühren, dann ist das schon irgendwie schwul.“ – „Also heutzutage kann man ja sogar auch fette Frauen in der leading role zeigen, das ist ja schon fast Trend.“ – „Die Hauptfigur aber machen wir zu einem heterosexuellen Mann, weil so was nicht Binäres, das schaut sich ja echt keiner an.“ – „Alle Vietnamesen sind gut in der Schule und können Kung Fu.“ – „Eine Frau wird nicht gewalttätig, das glaubt ja niemand, dass die jemand zusammenschlägt.“ – „Sind denn jetzt alle irgendwie lesbisch oder schwul in dem Buch?!“ – „Du willst doch jetzt ein Mann sein, dann musst du auch wissen, dass ein Mann sich so nicht verhält, selbst wenn er schwul ist.“*
*Zitate aus Drehbuch- und Konzeptbesprechungen der letzten anderthalb Jahre
Wie divers ist das sächsische Fernsehen? Es gibt keine Zahlen, keine Statistik. Es gibt keine Nummer, die ich hochhalten kann und sagen kann: Seht her. Und was wäre, wenn es Zahlen gäbe? Was täten wir dann damit? Sobald es eine Statistik gibt, stehen wir vor dem Dilemma der Auswertung. Und der Interpretation. Eine marginalisierte Gruppe wird zu einem Prozentsatz und dieser Prozentsatz von der einen Seite als relevant und von der anderen Seite als klein und nichtig interpretiert. Helfen uns Zahlen bei der Diskussion um mangelhafte Diversität in Film und Fernsehen vor und hinter der Kamera?
Nein.
Um über Diversität zu sprechen, braucht es vor allem anderen eine Bereitschaft, zu allererst ihr Fehlen anzuerkennen. Ich diskutiere nicht länger mit nicht marginalisierten Personen den Umstand, dass ja die deutsche Film- und Fernsehlandschaft „schon irgendwie ein bisschen divers“ ist, also so okay divers, und es ist ja auch schon viel passiert und überall liegt eine gute Absicht herum. Man würde ja gern! Man hätte gern! Aber die Zuschauer:innen! Die Quoten!
Nein.
Gute Absichten, Bekenntnisse, das Relativieren von einem Umstand der Ungleichheit – all das: Feigenblätter. Wir tun uns keinen Gefallen mit dem Versteckspiel. Wir ersticken Kreativität. Wir berauben Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihrer Vorbilder. Wir ertrinken in einer grauen Soße heteronormativer Gleichheit und Austauschbarkeit. Wir lähmen uns aus der selbst erschaffenen Wahrheit heraus, Figuren jenseits der weißen Heteronormativität würden das Publikum verschrecken.
Ich bin queer und lebe mit der Gewissheit, dass ein Großteil der Filmschaffenden eine Person wie mich on screen als Risikofaktor betrachtet: „So was will doch keiner sehen.“ Jedes Konzeptgespräch wird so zu einem sich wiederholenden Trauma. Für mich als nichtbinärem, trans* Drehbuchautor in Deutschland, in Sachsen, kommt also die Politisierung ganz automatisch. Ein Reflex, der mir das berufliche Überleben sichern soll. Widerstand als Selbstrettung. Denn ich würde gern auch zukünftig in Leipzig leben und gemeinsam mit sächsischen Produktionsfirmen und dem MDR Stoffe entwickeln. Momentan ist für mich und meine Geschichten in Sachsen kein Platz. Ich spüre aber: Genau jetzt ist die Zeit, Sachsen ist der Ort, jetzt braucht es nur noch die richtigen Personen – Menschen mit Bewusstsein und Reflexionsvermögen aus allen Bereichen des Films – für eine Veränderung. Für eine Revolution.
Berlinale 2020. Ich sitze mit drei neuseeländischen Filmschaffenden auf einem Panel. Wir reden über ihre Drama-Serie „Rūrangi“. Eine Serie, in deren Mittelpunkt der junge trans* Mann Caz steht, der in seine Heimat zurückkehrt. Der gesamte Abend wächst sich zu einem Aha-Erlebnis aus. Es ist das erste Mal in meinem 33-jährigen Leben, dass ich meine Erlebens- und Erfahrenswelt authentisch und greifbar on screen gespiegelt sehe. Das Team hat das Projekt allein gestemmt, Crowdfunding, eigenes Budget, ein wirklicher Kampf. An manchen Tagen wissen sie nicht, ob am nächsten noch gedreht werden kann. Sie hätten es auch anders haben können. Maxwell Currie, der Regisseur der Serie, erzählt, dass das Projekt zuvor bei einem Sender beheimatet war. Mit einem anderen Autor, einer Person, die weder trans* ist, noch in anderer Form Marginalisierung erfahren muss. Das Skript wächst zu einem beleidigenden Klischee. Cole Meyers (nichtbinär und trans), damals noch beratend im Team, bittet Maxwell eines Tages um ein Gespräch. Es wird ein langes Gespräch. Cole erzählt von dem Schmerz, der Frustration, der Bitterkeit, in stereotyper Form fremdbeschrieben zu werden. „Ihr traut uns nicht zu, unsere eigenen Geschichten erzählen zu können. Das sagt viel darüber aus, wie ihr uns seht.“ Maxwell hört zu. Das Gespräch mit Cole verändert seinen kompletten Blick auf die Serie, gemeinsam mit Cole beschließen sie, rauszugehen aus dem Senderverbund. Nun ist Cole Meyer kreativer Kopf und Seele des Projekts sowie Drehbuchautor:in. Die Macher:innen von „Rūrangi“ haben eine Serie von, mit und für Transgender und Queers gemacht, die ebenso Heteros und Cisgender bewegt.
Was heißt das für meinen Blick auf die mitteldeutsche Film- und Fernsehlandschaft? Diversität ist nichts, was sich künstlich herstellen lässt. Nicht durch ein Abhaken einer bunten Besetzung, nicht durch als „divers“ gebrandete Themen oder auch nicht durch Fallfolgen in Serien, die eine marginalisierte Gruppe in den Blickpunkt rückt. Diversität ist ein Gesamtpaket, welches alle Produktionsschritte durchlaufen muss. Angefangen bei den Menschen, die hinter einer Storyentwicklung stehen.
Meine Zusammenstöße mit fiktionalisierter Transidentität, vor allem in deutschen Serien und Reihen, sind verstörend und schmerzhaft. Als greifbares Beispiel möchte ich die MDR-Produktion „Polizeiruf 110: Zehn Rosen“ sowie „Soko Leipzig: Schmetterlingstage, Monstertage“ (ZDF) nennen. Beides wurde im Jahr 2019 in Mitteldeutschland produziert. Was ich sehe, ist eine verzerrte, ja gar entstellte Fremddarstellung, welche zum Teil meine Lebensrealität abbilden soll.
Das beginnt bei der stereotypen Handlung (die trans* Person als Opfer, als Fall), forcierten dialogischen Erklärversuchen (á la „Ach so, das ist ein trans* Mann, deshalb sieht er auch nicht so richtig maskulin aus.“) und endet beim Cast der dargestellten trans* Personen, die vorwiegend von Cis-Schauspieler:innen gespielt werden. Lukas von Horbatschewsky (bekannt aus der Funk-Serie „Druck“) „darf“ als trans Mann eine trans Frau spielen, denn in der cis-geschriebenen Fremdbetrachtung sind trans* Personen vor allem eins: als diese erkennbar. Die Codes, durch welche Transgender sichtbar werden, haben die anderen erfunden.
Bei beiden dieser Projekte waren weder Autor:innen noch Regisseur:innen oder Produzent:innen/Redakteur:innen trans*. Alles Gezeigte: ein Fremdblick. Und ich? Sehe zu, wie diese Fantasieversion einer trans* Person entstellt zur Schau gestellt wird. Die Verantwortlichen zeichnen ein Bild in der Öffentlichkeit, welches sich auch mit tausend authentisch erzählten neuen Geschichten nicht übermalen lässt.
Es ist die Perspektive, aus welcher heraus die Geschichte erzählt wird, die einen Unterschied macht. Und dieser Unterschied ist gewaltig. Cole Meyers Worte gelten für alle marginalisierten Gruppen: „Ihr traut uns nicht zu, unsere eigene Geschichte erzählen zu können.“
Film und Fernsehen werden als Brennglas der Gesellschaft verstanden. Was wir da sehen, egal wie fiktional und erdacht all das ist, brennt sich ein in unser Grundgefühl. Es definiert, was als normal, was als selbstverständlich verstanden wird und was als Ausnahme, als etwas Sonderbares. Es macht sichtbar und es hat die Macht, helle Ecken heller und dunkle dunkler zu machen. Es kann verzerren, es kann aber auch ordnen. Authentisches, diverses Fernsehen entsteht dann, wenn Haltungen und Standpunkte und Perspektiven beständig infrage gestellt werden. Es braucht Achtsamkeit, es braucht Demut auf der einen Seite. Und es braucht Mut und Hartnäckigkeit auf der anderen. Wir brauchen eine Quote, wie sie die Queer Media Society (QMS) fordert, und zwar so lange, bis es keine Quote mehr braucht.
Lion H. Lau
ist Drehbuchautor*, schreibt für Formate wie Polizeiruf 110 oder Soko Leipzig und entwickelt sowohl im Kollektiv als auch allein queere Genreserien.
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