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17. Februar 2020 // UK


Ein Filmset im Museum – Hollywood in Schloss Moritzburg

Besuch des Filmdrehs von "3 Engel für Charlie"

Aufnahme vom Filmdreh "3Engel für Charlie" im Oktober 2018 | Im Bild: Kristen Steward, Naomie Scott und Ella Balinska in glitzernder Abendrobe.

In den Räumen von Schloss Moritzburg bei Dresden fanden im Oktober 2018 Dreharbeiten für ein Remake von „Drei Engel für Charlie“ statt. Im Bild: Kristen Steward, Naomie Scott und Ella Balinska. Foto: Sony Pictures / Studio Babelsberg

Im Oktober 2018 drehte Sony-Pictures in Zusammenarbeit mit Studio Babelsberg unter der Regie von Elizabeth Banks ein Remake von „3 Engel für Charlie“ an verschiedenen Orten in Deutschland, unter anderem auch in Schloss Moritzburg.

 

Eiswürfel. Überall Eiswürfel. Sie liegen auf Stühlen, Tischen und Treppenstufen. Beim zweiten Blick stellt sich heraus: sie sind aus Plastik. Wir sind im Schloss Moritzburg auf dem Set des Filmdrehs von „3 Engel für Charlie“ eingeladen. Es ist später Oktober in Sachsen. Moritzburg ist eine von mehreren Locations für diesen Film, aber erst wenige Wochen vor Drehbeginn fiel die Entscheidung für das Schloss. Durch Vermittlung von Studio Babelsberg hat sich die Produktionsfirma Sony für Schloss Moritzburg entschieden. Das 300 Jahre alte Schloss ist heute ein Museum, das über die Schlossgeschichte, aber auch über die sächsische Geschichte und höfische Tafelkultur aus fast vier Jahrhunderten informiert.

 

Doch jetzt herrscht hier Hollywood. Menschen eilen hin und her, bellen hastige Kommandos in ihre In-ear-Funkgeräte. Es wird hektisch. Mit jedem Schritt vorwärts geraten wir tiefer in das Set-Gewusel. Im nächsten Raum glotzen Hirsche mit großen Augen auf das Getümmel unter ihnen. An anderen Wänden tanzen Hirsche aus grünem Laserlicht.  In einer Nische beugen sich Menschen über Bildschirme. Sie tragen Anzüge in grellen Farben, knappe Outfits und glitzernde Kleider.

 

Ein großer, schlanker Mann mit kahlem Schädel in einem grauen Anzug stellt sich vor: „Gestatten, ich bin Double für Sir Patrick.“  Freundliches Lächeln, weiter geht es. Ein Typ im Kapuzenshirt mit Funkgerät und lauter Stimme gibt Kommandos, er dirigiert eine Gruppe Menschen im Festsaal von Moritzburg, platziert sie an bestimmte Positionen, lässt sie drehen, wechseln, vor, zurück. Er hat die Leute im Griff.

 

Noch ein großer hagerer Mann mit kahlem Schädel und im grauen Anzug: „Gestatten, ich bin auch Double von Sir Patrick.“ Wieder freundliches Lächeln. Dann taucht vor uns ein gigantischer Eisberg auf, er steht in der Mitte des großen Festsaales. Eine Spitze aus Eis ragt in die Höhe, so dick wie eine große Zuckertüte. Und auf dieser Spitze steckt ein Mensch, offensichtlich brutal aufgespießt. Ist er von der Empore herunterfallen und auf die Eisspitze gestürzt?

 

Der Festsaal des von Schloss Moritzburg gefüllt mit einer Menge von Statisten, die eine Partyszene spielen.
Hollywood in Moritzburg: der barocke Festsaal von Schloss Moritzburg wird kurzerhand zur Partyzone. Foto: Sony Pictures / Studio Babelsberg

 

Die Komparsen ringsherum scheint das nicht zu kümmern, sie drapieren die Eiswürfel neu, sortieren Sektflöten und Champagnerflaschen. Einer prostet dem Aufgespießten freundlich zu, ein Kamerakran schwenkt über die gesamte Szenerie. „Gebt auf Eure Köpfe Acht! Die Kamera ist nun in Bewegung!“ herrscht der Typ im Kapuzenshirt die Menschen an. Der Aufgespießte bewegt sich kurz, bittet er um Hilfe? Nein. Er rutscht auf einem kleinen Sattel, auf dem er sitzt in eine andere Position, die Eisspitze ist nur auf seinen Bauch geschnallt. Perfekte schreckliche Illusion – wir sind beim Film.   

 

„Die Entscheidung für Moritzburg fiel eher kurzfristig.“ meint Markus Bensch, Production Executive Location bei Studio Babelsberg und zuständig für alle Aktivitäten der Produktion außerhalb der Filmstudios. „Im Film sollte eine gewisse Internationalität erzählt werden und wir haben nach etwas gesucht, was nicht sofort nach Deutschland aussieht. Moritzburg hat da gepasst.“ Im Film geht das Schloss dann als ein Anwesen in Chamonix durch.

 

Markus Bensch stieß erst knapp ein halbes Jahr vor dem Dreh auf Schloss Moritzburg. Zwar war ihm bewusst, dass es das Schloss gab, „aber ich hab es erst im Rahmen einer Anfrage für einen anderen Film kurze Zeit vorher selbst kennengelernt. Als dann die Anfrage für die drei Engel reinkam, habe ich das gleich vorgeschlagen.“

 

Schloss Moritzburg liegt nicht weit von Dresden in einer künstlich angelegten Seenlandschaft auf einer kleinen Insel und sieht von allen Seiten märchenhaft aus. Benannt ist es nach dem sächsischen Kurfürst Moritz aus dem sechzehnten Jahrhundert, dessen Jagdhaus hier vorher stand. Gebaut hat es später der berühmteste sächsische Kurfürst: August der Starke. Wir reden hier vom tiefsten Barock, siebzehntes Jahrhundert, Prunk und Pracht waren Programm. Was für ein Glück, August wäre heute wohl Filmproduzent. If it’s any good, let’s do it!

 

Sachsens Schlösserlandschaft ist weltberühmt, neben vielen anderen historischen Kleinoden steht unter anderem Deutschlands ältester Schlossbau hier: die Albrechtsburg Meissen. Und das barocke Moritzburg ist längst Pilgerstätte für Filmfans, denn hier wurde einst „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ gedreht. Aber, auch wenn das Schloss eine gewisse Filmtradition und ein passendes Äußeres mitbringt – warum ausgerechnet Moritzburg? Was bringt der Filmstandort Sachsen darüber hinaus noch mit?

 

Markus Bensch zögert keine Sekunde: „In Sachsen arbeiten wir sehr gern. Hier gibt es zum Beispiel viele Menschen, die interessante historische Sammlungen haben. Da können wir drauf bauen, dass wir immer das richtige Accessoir finden, wenn es um historische Stoffe geht. Außerdem gibt es in Sachsen diese „Can-Do-Einstellung“, den unbedingten Willen, die Dinge irgendwie hinzubekommen. Gibt es ein Problem oder einen ausgefallenen Wunsch, dann kannst Du auf die Leute hier zählen, die helfen dir, das irgendwie zu lösen oder zu realisieren. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich und ganz klar eben nicht überall so.“

 

Am Set tut sich einiges, offensichtlich probt die Crew gerade eine Art Choreografie für eine Szene. Eines der Sir-Patrick-Doubles steht mitten im Gewusel, die Kamera ganz dicht vorm Gesicht. Sein Kollege lehnt lässig am Rande des Sets und trinkt Wasser aus einer Plastikflasche. Hinter einer spanischen Wand tauchen eine nach der anderen die drei Engel auf. Kristen Stewart, Naomie Scott und Ella Balinska zappeln aufgekratzt in viel zu bunten Outfits auf dem Parkett des Festsaals. Der Typ im Kapuzenshirt donnert durch den Saal, dass die gesamte Gruppe jetzt bitte Ruhe zu halten habe, denn die Chefin wird gleich wichtige Dinge erklären.

 

Sie steht plötzlich mitten im Set und ist präsent wie Flutlicht. Elizabeth Banks, weißes, hautenges Glitzerkostüm, Platinfrisur, klare Stimme. Alle sind still, sie lauschen den Anweisungen der Regisseurin. Sie posiert, erklärt, tanzt, zeigt die Abläufe und Bewegungen, ihr ausgestreckter Arm folgt dem gestreckten Zeigefinger, der alle Augen dirigiert. Diese Frau hat ihr Ziel glasklar im Blick. Für dieses Projekt übernimmt sie Produktion, Regie und eine der Hauptrollen. In Interviews deutet sie an, dass sie der Männerdomäne Filmproduktion als Frau die Zähne zeigen will. Sie wirkt gleichzeitig grazil wie auch ehrfurchtgebietend. Ihr Image aus „Scrubbs“ oder „Jungfrau (40), männlich, sucht…“ will einfach nicht so recht passen, hier steht ein ganz anderer Mensch, keine Dumpfbacken-Nebenrolle, hier steht mitten im Raum: das neue Hollywood.

 

Regisseurin Elizabeth Banks am Set von Drei Engel für Charlie
Regisseurin Elizabeth Banks am Set von „Drei Engel für Charlie“. Foto: Sony Pictures / Studio Babelsberg

 

Das Set ist riesig, über elf Räume auf der gesamten ersten Etage im Schloss verteilt. Markus Bensch recherchiert die Anzahl der Beteiligten über den Aufwand im Catering. Zu Spitzenzeiten mussten 276 Crewmitglieder, 159 Komparsen und etwa 20 Verantwortliche für Kostüm und Maske am Set mit Essen versorgt werden. Das sind 455 Personen, die es zu dirigieren und auch zu kontrollieren galt.

 

Kann so ein Aufwand in einem solch sensiblen Umfeld gutgehen? Im Schloss ruhen eigentlich historische Kostbarkeiten aus dem sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert, jedes einzelne unwiederbringlich und einzigartig. Ein Filmset in einem historischen Kulturdenkmal birgt ungeahnte Herausforderungen. Die Regeln sind streng, die Konsequenzen unabsehbar.

 

Markus Bensch: „Naja, das war auch einer der Gründe, warum die Entscheidung für Moritzburg dann doch erst recht spät gefallen ist. Der Dreh fand in den Herbstferien statt, eigentlich eine der Besucher-starken Zeiten im Schlossmuseum. Wir waren umgeben von sensiblem Kunstgut, letztlich ist das gesamte Schloss ein einziges Exponat. Heißt: nicht nur die Vitrinen, sondern sämtliches Mobiliar, der Fußboden, die Vertäfelungen, die historischen Ledertapeten, Sandsteintreppen, also das gesamte Umfeld musste geschützt werden. Keine Schrammen, keine verschütteten Getränke – schlaflose Nächte. Wir haben das sehr penibel vorbereitet und alle Beteiligte beinahe militärisch gedrillt, das ging schon Wochen vorher los. Wir haben uns sehr bemüht, wir wollen ja auch gern irgendwann einmal wiederkommen dürfen. Im Nachhinein können wir glücklich feststellen: es ist nichts kaputt gegangen oder beschädigt worden.“

 

Das bestätigt auch Ralf Giermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museum Schloss Moritzburg. Er ist für die Pflege, Bewahrung und Erweiterung der Barockausstellung im Schloss verantwortlich und arbeitet leidenschaftlich an der einzigartigen Sammlung. „Ich gebe zu, die Entscheidung, die Museumsbereiche für einen Filmdreh freizugeben, ist uns nicht leicht gefallen. Die Exponate aus vier Jahrhunderten sind unwiederbringlich und haben hier Vorrang. Aber als wir sahen, wie bedingungslos die Verantwortlichen unsere Vorgaben umgesetzt haben und alle Beteiligten auf die sensible Umgebung vorbereitet haben, fiel uns die Entscheidung dafür etwas leichter. Vollends überzeugt war ich, als ich sah, wie verlässlich die zwei zuständigen Kollegen des Drehteams permanent anwesend waren und uns unterstützt und auch für uns gekämpft haben. Anweisungen oder Hinweise unserer Leute vor Ort haben die sofort ohne Wenn und Aber umgesetzt, es lief alles glatt.“

 

Steht man am Rande des Sets kann man das kaum glauben, so groß ist das scheinbare Durcheinander. Elizabeth Banks ist mit den Anweisungen durch und die Szene wird aufgebaut. Plötzlich steht sie starr und streckt ihre Arme vor sich aus, wie zum Empfang. Laut und fröhlich ruft sie: „Patrick!“ Von links nähert sich ein schlanker Herr mit jenem charakteristischen Schädel und grauem Anzug. Er geht auf die Position, die sein Double für ihn gehalten hat und wartet geduldig auf Anweisungen. Im Festsaal von Schloss Moritzburg steht Sir Patrick Stewart, Captain Jean-Luc Picard, Professor Charles Francis Xavier, da steht das ehrwürdige Hollywood, eine Ära.

 

Regisseurin Elizabeth Banks und Hauptdarsteller Patrick Steward am Set in den Räumen von Schloss Moritzburg
Regisseurin Elizabeth Banks und Hauptdarsteller Patrick Steward am Set in den Räumen von Schloss Moritzburg. Foto: Sony Pictures / Studio Babelsberg

 

Kurz drängt sich noch die Maske an ihn heran, der Typ mit dem Kapuzenshirt ruft „Action!“ und ganz unerwartet fallen alle männlichen Komparsen zu Boden, die Frauen bleiben stehen. Stewart dreht sich zu Banks und den Engeln um und sagt mit seiner sonoren, vollen Shakespeare-Stimme: „Well, you have been busy!“ Klappe fällt und alle entspannen sich. Banks gibt Anweisungen und alles geht auf Anfang. Kurz Maske, Action!  Männer fallen, „Well, You have been busy!“  Und noch einmal: Maske – Action – Männer – “Well, you have been busy!” Noch drei, viermal geht das so, dann baut das Team eine neue Szene auf. Alles in allem etwa fünfzehn Sekunden Film.

 

Schlösser und Burgen im Schlösserland Sachsen dienen häufig als Filmkulisse, eine Produktion, wie „Drei Engel für Charlie“ ist dennoch besonders. Auf Burg Mildenstein war Julie Delpy, Wes Anderson war im Zwinger, unzählige kleinere und größere Drehanfragen kommen täglich in den Häusern an. Für die Bearbeitung gibt es Standards, eine Rahmenregelung gar. Doch für die Größe und den Umfang dieser Produktion gibt es keine Standards, da muss man intensiv vorbereiten.

 

Dr. Christian Striefler, Geschäftsführer der Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen gGmbH, zu der Schloss Moritzburg gehört, blickt auf die Vorbereitungen zurück: „Eine Drehanfrage dieses Umfangs in diesem Umfeld kann man nur mit Bedacht und professionellen Beteiligten realisieren. Die Produzenten mussten wissen, worauf sie sich im Schloss als Drehort einlassen und wir wollten das Verständnis für das sensible, historische Umfeld und die Sicherheit, dass historisches Kulturgut auch während der Dreharbeiten geschützt bleibt. Ich denke, beide Seiten haben bei diesem Projekt gezeigt, dass sie professionelle und verlässliche Partner sind. Wir freuen uns sehr auf künftige Produktionen in unseren Häusern und Anlagen.“

 

Nach zwei Wochen ist der Trubel vorbei, Hollywood ist wieder raus aus dem Schloss. Technik und Kulisse beräumen die Mitarbeiter der Filmproduktion. Ralph Giermann und seine Leute benötigen knapp ein bis zwei Tage, um Exponate wieder an ihre Plätze zu tragen und geschützte Vitrinen wieder auszupacken. Zwei weitere Wochen später dreht sich erneut alles um einen Film im Schloss Moritzburg: die jährliche Winterausstellung zu „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ öffnet wieder. Die Ausstellung sahen mittlerweile über eine Million Menschen.

 

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