30. August 2019 // Gisela Wehrl
Filmisches Erzählen heute und morgen – Teil 2

Anton muss eine Mutprobe bestehen, um bei der Hitlerjugend dabei sein zu können. Bild: SWR/LOOKSfilm/Andreas Wünschirs
In 17 Panels und Workshops wurde bei „FilmStoffEntwicklung“, das Erzählen von einer ganz anderen Seite beleuchtet. Nach dem Workshop, wie Geschichten der Gesellschaft dienen können, stelle ich heute die Veranstaltungen vor, wie sich Stereotype knacken lassen und die Schrecken von 2. Weltkrieg und Holocaust für Kinder erzählt werden kann. Ab morgen wird die Produktion von LOOKSfilm „Der Krieg und ich“ auf dem KiKA ausgestrahlt: 31. August, 1., 7. und 8. September, 20:00 Uhr jeweils zwei Episoden.
Gegen den Malestream
Um gesellschaftliche Veränderung geht es auch beim Thema „Diversität“, was glücklicherweise in den letzten Jahren immer wichtiger wird und auch bei „FilmStoffEntwicklung“ in zwei Panels diskutiert wurde („Raus aus dem Malestream. Weibliche Perspektiven in der Stoffentwicklung“ und „Was ist schon normal? Erzählen an Normalitätsgrenzen“). Zusätzliche lieferte Belinde Ruth Stieve in ihrem 3-stündigen Workshop „Stereotype knacken. Mit der NEROPA-Methode Vielfalt im Film abbilden“ einen sehr pragmatischen wie wirkungsvollen Ansatz für mehr (Geschlechter-)Diversität in Filmen und Serien. Mit der „NEROPA“- Methode (von NEutrale ROllen PArität) werden die Rollen, für die das Geschlecht keinerlei Bedeutung hat, zu 50:50 auf weiblich und männlich aufgeteilt. „Wenn wir mehr Frauen haben, werden wir auch automatisch mehr ältere Frauen haben und mehr Frauen, die einen Beruf ausüben“, betonte Stieve. Die Schauspielerin hatte am eigenen Leib erfahren, dass die Rollen für Frauen jenseits der 40 immer spärlicher werden – und hat dies in den letzten Jahren mit vielen eigenen empirischen Untersuchungen belegt. „Bei ‚Rogue One‘ gibt es zwar eine weibliche Hauptfigur, um sie herum aber ausschließlich Männer“, sagt Stieve: „Und wenn wir weniger Frauen sehen, haben wir weniger Vorbilder.“ Im Workshop sollten sich die Teilnehmenden zunächst einmal klar machen, welchen Klischees sie immer wieder selbst begegnen, also auch über die Gender-Themen hinaus. Diese wurden dann in kleinen Probeszenen aufgebrochen. Stieve bloggt übrigens auf ihrem Blog unermüdlich zu Gender-Themen, aktuell hat sie wieder einmal die Gender-Verteilung bei mehreren Gewerken in den „Tatorten“ ausgewertet.
LOOKSfilm-Serie als dramaturgisches Fallbeispiel
In einem eigenen Panel konnten Producerin Ramona Bergmann und Matthias Zirzow als Regisseur die LOOKS Film-Kinderserie „Der Krieg und ich“ und ihre dramaturgische Arbeit vorstellen (unser Drehbericht im Auslöser 1/2018). Dramaturgin Eva-Maria Fahrmüller fragte die beiden, welche Erkenntnisse Bergmann und Zirzow aus dem Entwicklungsprozess der Serie mit. „Bei der Menge an Dingen, die wir verkehrt hätte machen, ist es ziemlich gut gegangen“, sagte Zirzow. „Das Schwerste dran ist gewesen, die ganzen historischen Gegebenheiten runterzubrechen. Dieses Weglassen und dieses Fokussieren“, sagte Bergmann: „Die Themen Rassismus und Antisemitismus sind nicht nur Geschichte, sondern auch Gegenwart. Und Werte wie Solidarität und Mitmenschlichkeit zu transportieren, finde ich ganz wichtig.“
In „Imagination – Wie die Geschichte im Kopf entsteht“ richteten Heinz-Peter Preußer, Professor in Bielefeld, ging mit Dramaturgin Eva-Maria Fahrmüller den Blick auf die Rezipienten. Inwieweit fruchten Überwältigungsstrategien im Narrativen? Wie muss die Geschichte den Zuschauern Ansatzpunkte geben, damit die Kohärenzbildung innerhalb der Geschichte funktioniert? Solche Blickwinkel jenseits der Industrie machen die „FilmStoffEntwicklung“ so spannend.
Zum Abschluss ein eigener Wunsch für ein Framing ohne Rassismus: Können wir zukünftig nur noch vom „10 kleine Jägermeister“-Prinzip sprechen, um den Plot von „Alien“ zu beschreiben?
Gisela Wehrl lebt in Leipzig und arbeitet als Filmjournalistin, Autorin und Dramaturgin. Sie ist übrigens seit diesem Jahr VeDRA-Mitglied.
Die Filmstoffentwicklung findet alle zwei Jahre und somit wieder im November 2020 statt.
Die NEROPA-Methode von Belinde Ruth Stieve
Auswertung der Gender-Verteilung beim „Tatort"
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