9. Mai 2019 // Pressemitteilung
Sächsische Erklärung der Vielen

Sachsen war ein zentraler Schauplatz auf dem Weg zur Friedlichen Revolution. Im Herbst 1989 gingen hier zahlreiche Bürger*innen aller Generationen und Bevölkerungsschichten auf die Straße, um mit ihrem friedlichen Protest Demokratie, Freiheit, Freizügigkeit und Mitspracherechte einzufordern. Ihr Motto lautete: „Wir sind das Volk!“ Die sächsischen Bürger*innen haben damals bewiesen, dass eine mit demokratischen Mitteln geführte Debatte und der Zusammenschluss demokratisch gesonnener Kräfte eine Veränderung der Gesellschaft herbeiführen können.
Heute wird das Motto der Friedlichen Revolution von Rechtspopulist*innen missbraucht, die die Werte Freiheit, Toleranz und Solidarität für ihre Zwecke instrumentalisieren. Der dabei vorhandene verächtliche Umgang mit der Menschenwürde, mit Andersdenkenden und mit engagierten Kulturschaffenden und Wissenschaftler*innen ist nicht zu akzeptieren.
Als Kulturschaffende und Wissenschaftler*innen in Sachsen stehen wir nicht über den Dingen, sondern in der Verantwortung gegenüber der deutschen Geschichte und unserer Erinnerungskultur. Wir treten ein für demokratische Werte und die Grundrechte der Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit, der Religionsfreiheit sowie des Rechts auf Asyl und wehren jegliche Angriffe auf diese unverzichtbaren Wertegrundlagen unserer Gesellschaft entschieden ab.
Wir begreifen die Kultur, die Wissenschaft und ihre Einrichtungen, ihre urbanen und ländlichen Orte als offene Räume, die Vielen gehören. Unsere Gesellschaft ist eine plurale Versammlung. Wir verstehen Vielfalt und Weltoffenheit als Voraussetzung wie als Ziel gelebter Demokratie in Sachsen und verurteilen völkisch-nationalistisches Gedankengut und dessen Verbreitung; Diskriminierung sowie Gewalt jedweder Art.
Als unabhängige Akteur*innen im demokratischen und gesellschaftsbildenden Diskurs setzen wir uns ein für Freiräume der Fantasie und des Denkens und wehren uns gegen jegliche Vereinnahmung. Wir führen einen offenen und kritischen Dialog über undemokratische Strategien und Ziele und gestalten diesen Dialog in unseren Einrichtungen im Austausch mit dem Publikum. Uns eint die Gewissheit, dass durch das Wiedererlangen der Dialogfähigkeit und des respektvollen Umgangs miteinander eine angstfreie und lebenswerte Gesellschaft möglich ist.
Für uns ist die Freiheit der Kunst und der Wissenschaft ein wesentlicher Bestandteil einer offenen, demokratischen und vielfältigen Gesellschaft, der wir uns auf dem Boden des Grundgesetzes und der Errungenschaften der Friedlichen Revolution verpflichtet fühlen. Unser Selbstverständnis ist es, für eine Gesellschaft einzutreten, in der sich alle Menschen unabhängig von sozialer oder kultureller Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, geistigen oder körperlichen Fähigkeiten, Alter oder sexueller Orientierung mit Respekt und Toleranz begegnen. Wir verbinden uns solidarisch mit Menschen, die durch eine ausgrenzende Politik und Ideologie an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.
Demokratie muss täglich neu verhandelt werden – aber immer unter einer Voraussetzung: Es geht um Alle, um jede*n Einzelne*n!
Selbstverständnis
• Alle Unterzeichnenden sind Kultur- und Bildungseinrichtungen, Kunstinstitutionen, kunstausbildende Institutionen, Theater, Museen, Universitäten, Hochschulen und ihre Interessensvertretungen oder Verbände.
• Neben den erstunterzeichnenden Einrichtungen können ab dem Tag der Erstveröffentlichung in einer Region auch weitere Einrichtungen, Einzelpersonen und Künstler*innengruppen ihre Zustimmung als Unterstützende erklären.
• Mit der Unterzeichnung erklären sich die Leitungspersonen oder das Leitungsteam bereit, den Text der Erklärung innerhalb der eigenen Organisation unter Mitarbeiter*innen, Ensemblemitgliedern, Kurator*innen, Publikum und Besucher*innen bekannt zu machen und zur Diskussion zu stellen.
• Die unterzeichnenden Einrichtungen werden auf der Homepage www.dievielen.de sichtbar gemacht.
• Die Unterzeichnenden werden im Sinne der Werte der Erklärung aktiv, u.a. mit Veranstaltungen und Gesprächen.
• Im Rahmen der eigenen Öffentlichkeitsarbeit werden die Erklärung und die Kampagne veröffentlicht.
• Die Kampagne zur Erklärung der Vielen hat einen regionalen Charakter und wird über regionale Zusammenschlüsse bundesweit verbreitet.
• Die unterzeichnenden Einrichtungen informieren über die „Glänzende Demonstration der Kunst und Kultur – Solidarität statt Privilegien. Es geht um Alle. Die Kunst bleibt frei!“ am 19. Mai 2019.
• Die Unterzeichnenden verpflichten sich zu gegenseitiger Solidarität mit Kultur- und Bildungseinrichtungen und Akteur*innen, die Hetze und Schmähungen ausgesetzt sind und politisch unter Druck gesetzt werden.
Wer unterzeichnen oder weitere Informationen möchte, wendet sich bitte an
Statements von Erstunterzeichner*innen
Dr. Sabine Wolfram, Direktorin, smac – Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz:
„Die Werte des Grundgesetzes, insbesondere die Würde des Menschen, sind nicht verhandelbar. Angriffe auf diese sollten uns Alle angehen. Was an vielen Orten in Sachsen in den letzten 30 Jahren geschehen ist, erinnert an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte. Dieses betraf auch das ehemalige Kaufhaus Schocken, in dem das smac nunmehr seit fünf Jahre ansässig ist. Durch die Geschichte unseres Hauses und unseren Leitspruch „Kulturen entdecken – Geschichte verstehen“ ist es unser Anspruch, ein offener Ort für Alle zu sein. Die Sächsische Erklärung der Vielen ist für uns daher nicht nur ein Signal, sondern Ausdruck einer Grundhaltung, die wir nach innen und nach außen vermitteln und leben wollen.“
Sophie Renz, Geschäftsführerin, Cammerspiele Leipzig:
„Die Bedrohung der im Grundgesetz unter Artikel 5 verankerten Freiheit von Wissenschaft, Kunst und Kultur durch inhumane Gedanken und Begriffe wie „völkisch“ und „entartet“, aber auch „Asyltourismus“ finden heute wieder ihren Weg in unsere Sprache und auf die politische und gesellschaftliche Bühne. Sie werden von aktiven Politiker*innen verschiedener Parteien in Landesparlamenten und im Deutschen Bundestag benutzt und beängstigender Weise oftmals hingenommen. Die Cammerspiele Leipzig bekennen sich mit dem Unterzeichnen der Sächsischen Erklärung der Vielen nicht nur zu den Werten des Grundgesetzes, sondern erklären sich mit angefeindeten Einrichtungen und Ausgegrenzten solidarisch und machen sich aktiv für eine pluralistische Gesellschaft ohne Hass stark.“
Prof. Dr. Hans Müller-Steinhagen, Rektor, TU Dresden:
„Exzellente Forschung und Lehre benötigen Freiheit, Offenheit und Vielfalt. Die Freiheit von Wissenschaft, Kunst und Kultur ist so wichtig, dass sie sogar im Grundgesetz verankert ist und damit eine wesentliche Grundlage unserer demokratischen Gesellschaft bildet. Deshalb unterstützt die Technische Universität Dresden die neue Sächsische Erklärung der Vielen.“
Prof. Dr. Andreas Schulz, Gewandhausdirektor / Prof. Dr. Gereon Röckrath, Verwaltungsdirektor, Gewandhaus zu Leipzig:
„Das Gewandhaus zu Leipzig versteht sich als integrativer Ort, der mit seinen Angeboten allen Bevölkerungsschichten zugänglich ist. Wir sind der festen Überzeugung, dass eine freiheitlich demokratische Gesellschaft auf Basis des Grundgesetzes nur möglich ist, wenn das Miteinander von Achtung, Toleranz und Weltoffenheit geprägt ist und sich Kunst und Wissenschaft frei von ideologischer Vereinnahmung entfalten können. Vor dem Hintergrund der derzeit zu beobachtenden Bedrohung dieser Werte durch antidemokratische Kräfte haben wir uns für das Gewandhaus zu Leipzig der Sächsischen Erklärung der Vielen angeschlossen, um diese Werte gemeinsam mit Anderen zu verteidigen und um ein Zeichen der Solidarität mit Kultureinrichtungen zu setzen, die von Versuchen ideologischer Bevormundung und Diskreditierung bereits betroffen sind.“
Leonore Kasper, Vorstand, Schweizerhaus Püchau:
„Die Freiheit von Kunst und Wissenschaft sind die Grundlagen einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft. Wenn Einrichtungen der freien Szene und Einrichtungen der Hochkultur zusammen stehen, können wir uns gegenseitig stark machen gegen übergriffige Maßnahmen, Einschränkungen unserer Arbeit und einem Klima der Verunsicherung. Die Unterzeichnung der Erklärung der Vielen ergibt sich aus unserer alltäglichen künstlerischen und kulturellen Praxis im ländlichen Raum, in der wir als unabhängiger Verein überschaubarer Größe, an die Grenzen unserer Kapazitäten kommen, wenn es darum geht im Alleingang freiheitliche Grundwerte mit künstlerischer Praxis zu verteidigen.“
Jürgen Zielinski, Intendant, Theater der Jungen Welt Leipzig:
„Lange arbeitete das Theater der Jungen Welt nur einen Steinwurf weit entfernt vom „NPD-Bürgerbüro“ in Leipzig-Lindenau. Dank vielfältigen Protests, auch vonseiten des Theaters, musste dieses Büro 2014 schließen. Nun braucht es wieder – und deutlich vehementer – ein breites Bündnis, das gemeinsam und nachhaltig für ein offenes und demokratisches Miteinander eintritt und rechtspopulistischer bzw. rechtsextremer Einflussnahme entschieden entgegentritt. Mit den Treffen zur Sächsischen Erklärung der Vielen wollten wir die Bildung eines solches Bündnisses unterstützen“
Dr. Ralf Schulze, Geschäftsführer, C³ Chemnitzer Veranstaltungszentren GmbH:
„Ohne die internationale Vielfalt an Sängern, Tänzern, Schauspielern, Künstlern und Sportlern sind unsere Veranstaltungen nicht denkbar. Wir möchten internationale Vielfalt aktiv fördern. Wir möchten damit unseren Beitrag leisten, dass Chemnitz und Sachsen sich als tolerante, lebendige, weltoffene Orte weiter positiv entwickeln können.“
Prof. Ulf Schirmer, Intendant und Generalmusikdirektor, Oper Leipzig:
„Ich bin froh, dass wir als Kulturbetriebe in Sachsen gemeinsam eine eigene Erklärung der Vielen auf den Weg gebracht haben. Sie lässt uns aus unserer spezifischen Perspektive die Sorgen über die Gefährdung der Demokratie in unserem Bundesland deutlich formulieren.“
Almut Haunstein, Geschäftsführerin, Theatrium e.V.
„Das Theatrium Leipzig versteht sich seit seiner Gründung vor über zwanzig Jahren als Ort der Toleranz, der Offenheit und der vorurteilsfreien Begegnung. Das Selbstverständnis der Sächsischen Erklärung der Vielen ist demnach auch unseres: Alle Menschen sollen sich unabhängig ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Weltanschauung, ihrer geistigen oder körperlichen Fähigkeiten, ihres Alters oder ihrer sexuellen Orientierung mit Respekt und Toleranz begegnen. Daran arbeiten wir täglich mit unseren beteiligten Kindern und Jugendlichen und daran wollen wir auch in Zukunft arbeiten, unabhängig von möglichen politischen Gewichtsverlagerungen.“
Anna Kaleri, Vorsitzende, Lauter-leise e.V. – Kunst und Demokratie in Sachsen:
„Demokratie und Pluralismus stehen momentan auf dem Prüfstand. Wer, wenn nicht Kultur, kann unsere Gesellschaft auf einem konstruktiven Weg halten? Die aktive Auseinandersetzung mit Kunst stärkt Selbstwirksamkeit und Resilienz gegenüber demagogischen Versuchen. Deswegen ist es wichtig, als Kulturschaffende und Kulturinstitutionen auf eine gegenseitige Stärkung hinzuwirken, denn sie kommt der ganzen Gesellschaft zugute.“
Dr. Christoph Dittrich, Generalintendant, Theater Chemnitz:
„Demokratie kommt nicht von allein. Immer wieder muss sie erlernt und erarbeitet werden. Wir möchten dazu beitragen, die Dialogfähigkeit in der Gesellschaft zu stärken, ein respektvolles Miteinander zu fördern und dem Populismus keinen Raum zu geben. Wichtig ist uns neben der Formulierung eines Selbstverständnisses auch die Bemühung um regionale und überregionale Bündnisse. Die gemeinsame Arbeit von Kultureinrichtungen und Kooperationsprojekten hier in Chemnitz wird die sichtbare Fortsetzung der Erklärung sein.“
Pascal Almeni, Presse/ÖA, Landesbüro Darstellende Künste Sachsen e.V.:
„Freie Theaterarbeit in Sachsen steht für eine offene Gesellschaft. Sie steht für Diversität, Gleichberechtigung und Zusammenhalt. Künstler*innen müssen in Sachsen ohne politische Einflussnahme arbeiten und ungestört leben können – unabhängig von Geschlecht, Religion, Herkunft oder sexueller Orientierung. Für diese Grundsätze steht das Landesbüro Darstellende Künste Sachsen e.V., denn insbesondere in Sachsen gilt es diese Grundsätze zu leben und zu verteidigen.“
Daniel Schade, Presse/Dramaturgie, Ost-Passage Theater:
„In einer sich schnell verändernden Zeit sollten wir solidarisch mit denen sein, deren Wertehorizont wir weitgehend teilen, weil es auf einem humanistischen Menschenbild vom Standpunkt der Gleichberechtigung fußt. Kunst & Kultur fernab politischer Kämpfe wird von diesen überholt. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir als Kulturbetrieb aktiv an der Gestaltung des Diskurses über die Zukunft der Gesellschaft teilhaben.“
Michael Linke, stellvertretender Vorsitzender, Landesverband Amateurtheater Sachsen:
„Die Amateur-Theaterschaffenden Sachsens haben sich schon immer mit politischer Theaterkunst im Sinne von Aufklärung, Toleranz und Erhalt der Menschenwürde eingesetzt.
Daran ändert sich auch heute und in der Zukunft nichts.
Hass, Demütigung, menschenverachtende Propaganda, Kulturlosigkeit und Fremdenfeindlichkeit finden bei uns höchstens Platz in den Stücken und Inszenierungen, in denen wir unsere Haltung, unseren Kampf für eine freundlichere, bessere Welt einem denkenden Publikum nach dem Applaus mit auf den Weg geben möchten.
Unser demokratischer und gesellschaftsbildender Diskurs beginnt bei uns vor der ersten Aufführung – weil in unseren Amateurtheatern Menschen aller Altersgruppen, aller sozialen Schichten und unabhängig von geistigen und körperlichen Fähigkeiten, Weltanschauungen und sexuellen Orientierungen miteinander in offene Dialoge treten.
Wir zeigen uns solidarisch mit allen Menschen, deren Würde – in welcher Form auch immer – in Frage gestellt wird. Nicht nur mit den Menschen in Sachsen oder Deutschland, sondern weltweit.“
Sächsische Erklärung der Vielen
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