23. Juli 2020 // Jana Endruschat
Tagebuch eines Traumreisenden

Foto: Lucie Thiede
An einem Januarnachmittag treffe ich mich mit Erik Schiesko im Dresdner Kulturzentrum Scheune. Auch wenn ich Erik schon vor gut zwei Jahren kennenlernte, bereite ich mich auf unser Gespräch vor, klicke mich durchs Internet und rüste mich mit ein paar Themenschwerpunkten, die ich für wichtig halte: Familie, Lokalfernsehen, erste Kurzfilme, Konturprojekt, Schauspielerei, Netzwerkarbeit. Über Letzteres kamen wir 2018 erstmalig in Kontakt, denn der Filmverband und die Stiftung für das sorbische Volk kooperieren mit dem sorbisch-deutschen Filmnetzwerk Łužycafilm, das damals im Rahmen des Neiße Filmfestival das zweite Mal stattfand. Erik fungiert mittlerweile als einer von vier Sprechern des Netzwerkes.
„Ich bin in der Lausitz aufgewachsen und spüre eine starke Verbundenheit mit der Region. Mit dem Netzwerk wollen wir das Lausitzer Film- und Medienschaffen in der Öffentlichkeit und in der Branche bekannt machen und bieten nicht nur über unsere Website Vernetzung an, sondern auch durch unsere regelmäßigen Netzwerktreffen während des Cottbuser und des Neiße Filmfestivals.“ Hinter dem Netzwerk steckt viel ehrenamtliches Engagement, das neben den „Geldjobs“ parallel laufen muss. Erik schwärmt von dieser schönen Aufgabe und davon, dass er darüber der Lausitz etwas zurückgeben möchte. Sein persönliches Anliegen ist, gerade mit Blick auf die Strukturveränderung, das Thema Lausitz zukünftig größer zu denken. „Dazu gehören für mich nicht nur die positiven Effekte von Filmproduktionen, sondern auch die vielen tollen Drehorte der Region bekannter zu machen“, so Erik.
Aber zurück auf Anfang: Die Kreativität ist Erik trotz „unkreativen Elternhauses“ in die Wiege gelegt. „Ich werde, wenn man so will, tausendmal am Tag enttäuscht, weil ich zu viele Ideen habe, die ständig in meinen Kopf aufpoppen und ich weiß, ich kann sie in meinem Leben nicht umsetzen“, überlegt er laut. Und trotzdem hilft ihm diese Eigenschaft, am Filmset flexibel zu sein und optional zu denken, sich auf alle Gewerke und natürlich auf den Cast einzulassen. „Genau das verlangt der Film von mir und darin liegt wohl meine Stärke“, sinniert Erik.
Anfänglich wollte Erik Schauspieler werden. Gemeinsam mit seinem Bruder unterhielt er auf Dorffesten die Menschen mit „Mr.-Bean-Einlagen“, besuchte den Schulkurs „Darstellendes Spiel“ und spielte im Jugendklub des Stadttheaters Cottbus. „Auslöser, dann hinter die Kamera zu wechseln, war der Film Crazy. Als er in die Kinos kam, war ich gerade 14. Der Film transportierte eine Gefühlswelt, in der ich mich damals auch befand. Und das wollte ich auch können.“
Der Buchautor des Coming-of-Age-Dramas Benjamin Lebert sagte mal in einem Interview, dass es immer sehr gefährlich sei, wenn der eigene Traum zum Beruf würde: „Das bekommt Träumen nicht gut, wenn sie gegenständlich werden.“
Erik setzt alles daran, seinen Traum gegenständlich werden zu lassen. Er habe seinen Traum, Regisseur zu werden nie aus den Augen verloren, egal was er gemacht hat. Für ihn war es grundlegend, sämtliche Disziplinen des Filmemachens vorab durchlaufen zu haben, egal ob nun durch die dreijährige Ausbildung zum Mediengestalter und Videojournalisten beim Lausitzer Lokalfernsehen, als Moderator, Set-Aufnahmeleiter, Produzent oder während der intensiven Zeit mit dem Filmbüro „Konturprojekt“, mit dem er Imagefilme- und Werbeclips produzierte.
Nach Fernsehbeiträgen und selbstproduzierten Kurzfilmen reüssierte Erik 2011 mit seinem ersten Spielfilm. Sein Wunsch: einmal einen Film im Kino zu zeigen. Noch heute spricht Erik von dem tollen Gefühl, dass „Blaue Stunde“ gerade mal ein dreiviertel Jahr später in einem „richtigen Kino“ lief. „Das ‚UCI Kinowelt am Lausitzpark‘ zeigte den Film nach dem Obenkino[1] einen Monat lang auf großer Leinwand.“
Bei seinem zweiten Spielfilmprojekt „Holger und Hanna“ wechselte Erik ausschließlich in die Rolle des Produzenten. „Das war eine schöne, aber auch erkenntnisreiche Erfahrung“, lässt mich Erik wissen und macht mir damit deutlich, wie sehr er den Settrubel und das Miteinander der Gewerke braucht. „Produzieren ist eine hochkreative Aufgabe, aber es hat auch viel mit Exceltabellen, Bürokratie und Abrechnungen zu tun. Ich arbeite lieber anders kreativ. Als Regisseur schlägt einfach mein Künstlerherz am höchsten und meine Träume finden ihren Weg in die Realität.“ (lacht)
„Holger und Hanna“ war ein immenser Erfolg, erklärt er rückblickend und beschwichtigt, dass es nicht mit dem großen Film zu vergleichen sei, aber dass es für ihn bei diesem Filmprojekt um „einen Film für die Region“ ging, mit dem er zeigen wollte, dass auch „hier größere Filme“ entstehen können. „Sicherlich ist das nicht mit dem großen Film vergleichbar, aber immerhin erzielten wir mit einer Kopie innerhalb eines Monats 4 000 Zuschauer im Filmtheater Weltspiegel. Das war damals mehr, als die Blockbuster einspielten, die da liefen,“ betont er stolz.
Dann die Auszeit. Nach fast 10 Jahren durchpowern, beschließt Erik, ein Jahr mit dem Wohnmobil durch Europa zu ziehen. Auf meine Rückfrage hin, was er in den schlussendlich drei Jahren Unterwegssein gemacht habe, erfahre ich, dass er zwar immer wieder zwischendrin nach Deutschland kam, um entweder als Kleindarsteller, an Filmsets oder mit Workshops Geld zu verdienen, doch nutzte er diese Zeit überwiegend als „Studienreise“ für andere Kulturen, zum Planen, Lesen, Schreiben und vor allem zum Leben.
Mit seinem Umzug nach Leipzig vor eineinhalb Jahren verschiebt sich Eriks Schwerpunkt klar auf die Regiearbeit. „Film ist meine Art Tagebuch – das Tagebuch eines Traumreisenden. Film ist meine Form, wie ich mich wiedergeben kann,“ klärt Erik auf und verweist damit auf die intensive und lehrreiche Zeit während des TP2-Programms, welches er Anfang dieses Jahres absolvierte. „Das war eine sehr gute Vorbereitung auf die Regiearbeit, weil ich nie auf einer Filmhochschule war.“ Er schwärmt von den neuen Kontakten, dem einwöchigen Regieworkshop mit Kai Wessel und den verschiedenen Backgrounds, Interessen und Herangehensweisen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die er kennenlernte.
Sein nächster fiktionaler Film soll in einer Kleinstadt spielen, für den er aktuell auch am Drehbuch schreibt. „Die größte Herausforderung ist eigentlich derzeit der lange Atem beim Drehbuchschreiben“, bemerkt Erik. Schließlich habe er dabei gelernt, dass „die Drehbuchautoren die wahren Architekten eines Films sind und weitaus mehr Aufmerksamkeit bekommen sollten.“ Die Geschichte handelt darüber wie der gesellschaftliche Riss Freundschaften und Familien spaltet, wobei Ziel des Films sein wird, die „journalistische Ausgewogenheit“ zu wahren. „Ich versuche, den Themen des Films wie Hass und Fremdenfeindlichkeit sehr subtil zu begegnen und beide Sichtweisen zu beschreiben und das Publikum sich damit konfrontiert zu lassen.“
Erik ist guter Dinge, dass es bei ihm klappt mit der Regie, immerhin sind die Voraussetzungen gut, denn er „zähle ja quasi noch zu den jüngeren Filmemachern“. Er habe noch viel vor und viele Wünsche offen. Auf die Rückfrage, welche Wünsche das aktuell seien, antwortet Erik: dass er sich einen Film wünsche, welcher bei Förderern und Sendern auf Interesse stößt, dass ich in diesem Artikel erwähne, wie gerne er Kartoffeln mit Quark und Leinöl isst und dass er einige Filmideen habe, die jetzt alle raus dürfen – wer also einen Stoff suche, könne gerne auf ihn zukommen.
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